verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 6 | |
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oder zwei-, drei-, vierfach etc. wieder zusammendreht (zwirnt), um Zwirn, Bindfaden, Schnüre, Stricke, Seile, Taue etc. zu bilden. Im gewöhnlichen Leben wird häufig der Zwirn unrichtigerweise G. genannt und zwar, je nach seiner Anwendung, als Strick-, Stick-, Stepp-, Näh-, Zeichengarn bezeichnet. Man spinnt G. aus Baumwolle, Flachs, Hanf, Wolle, gekrempelter oder gekämmter Seide, Kamelhaar, Mohair (Kämelhaar), Alpako, Vigognewolle, Jute, Kokosnußbast, Kuh- und Ziegenhaar und andern Faserstoffen. Alle genannten Garne finden in der Weberei Verwendung. Das Verfahren zur Hervorbringung des Garns wird Spinnen genannt. Gutes G. muß von durchaus gleichmäßiger Dicke sein und darf auch keine Knötchen haben; mit Ausnahme des Streichgarns darf es nur wenige hervorstehende feine Härchen zeigen; außerdem muß es die richtige Drehung besitzen, deren Grad sich nach dem Zweck, zu welchem es bestimmt ist, nach dem Feinheitsgrad und nach der Beschaffenheit des Materials, aus welchem es hergestellt wurde, richtet. Hierüber s. Spinnen.
Beim Baumwollgarn oder Twist unterscheidet man Watergarn, Watertwist, auch Kett(en)garn genannt, von Mulegarn, Muletwist oder Schußgarn. Ersteres wird auf den Water- oder Drosselmaschinen gesponnen, ist stärker gedreht und dient in der Weberei zur Herstellung der Kette; letzteres wird auf den Mulemaschinen gesponnen, ist feiner, schwächer gedreht und wird in der Weberei zur Herstellung des Einschlags oder Schusses benutzt. Ist dies letztere G. stark gedreht, so heißt es Halbkettengarn (Mediatwist). Leinengarn (Flachsgarn) ist entweder Handgarn oder Maschinengarn. Lotgarn ist ein feineres G., von welchem ein Stück etwa 1 Lot wiegt; es dient zur Darstellung von Zwirn, seltener wird es verwebt. Von Bielefeld aus, besonders aus der Grafschaft Ravensberg, kommt das schöne, feine Klöppelgarn in den Handel. In Böhmen, Österreich und Schlesien heißen die verschiedenen Garnsorten drei- bis dreißigstückgriffig, je nachdem 3–30 Stück davon mit der Hand umfaßt werden können. Streichgarn wird aus Streichwolle erzeugt und dient zur Anfertigung von Tuchen und tuchartigen Stoffen; es ist rauh und etwas ungleichmäßig. Kammgarn ist das Gespinst aus Kammwolle und dient zur Anfertigung der glatten Wollwaren, Strumpfwirkerwaren, wollener Quasten, Borten etc. Es ist völlig glatt und gleichmäßig, von verschiedener Feinheit und mehr oder weniger stark gedreht. Merinogarn wird aus feiner, kurzer Wolle, Lüstergarn aus gröberer, langer, glänzender, schlichter Wolle dargestellt. Halbkammgarn (Sayetgarn, Sagettengarn) ist aus kurzer Kammwolle oder den Kämmlingen gesponnenes G., bei dem die Vorbereitung nicht durch Kämmen, sondern durch Kratzen erfolgt. Dasselbe dient besonders zur Darstellung von Strick- und Strumpfwirkerwaren und ist zwar billiger, aber weniger glatt und dauerhaft als Kammgarn. Vigognegarn wird aus Baumwolle und Schafwolle, besonders in Krimmitschau, gesponnen, enthält aber keine Vigognewolle. Gorillagarn wird in Bradford (Marshall Mill) aus Alpako, Mohair, Schafwolle und mehreren vegetabilischen Faserstoffen im Gemisch mit Seidenkämmlingen und andern Seidenabfällen gesponnen und zeigt mit einer gewissen Regelmäßigkeit Rauhigkeiten und Knötchen, die fest darin gebunden sind und von den Seidenabfällen herrühren. Da nun letztere in verschiedenen Farben angewendet werden, so braucht ein aus diesem G. hergestelltes Gewebe gar nicht gefärbt zu werden. Aus Alpako stellt man jetzt am häufigsten gemischte Gespinste (mixed yarns) her, indem man verschiedene Faserstoffe zu einem scheinbar einfachen gedrehten Faden verspinnt. In Frankreich wendet man gewöhnlich Baumwolle, Alpako, Mohair und Seide oder Schappe hierzu an; doch wird an manchen Orten auch Alpako mit Mohair und hartem englischen Kammgarn ohne Seide verarbeitet.
Die gesponnenen Garne werden zum Zweck der Numerierung auf einen Haspel von bestimmtem Umfang aufgewickelt (gehaspelt), und zwar wird stets eine bestimmte Länge mit einemmal auf den Haspel gebracht und als Strähne oder Strang abgenommen. Die Strähne teilt man durch Unterbinden mit einem quer durchflochtenen Faden in Gebinde (Bind, Unterband, Wiel, Wiedel oder Fitze). Jede solche Fitze besteht aus einer festgesetzten Zahl Fäden, d. h. Haspelumgängen. Der Faden ist so lang wie der Umfang des Haspels, und wenn man diesen mit der Anzahl der Fäden in der Fitze und mit der Zahl der Fitzen in der Strähne multipliziert, so erhält man die Gesamtfadenlänge einer Strähne.
Beim Baumwollgarn werden die Strähnen, auch Schneller, Nummern oder Zahlen genannt nach englischem System, welches auch in Deutschland und der Schweiz gebräuchlich ist, gemessen und eingeteilt. Der Umfang des Haspels mißt 11/2 Yards, ein Schneller hat 7 Gebinde und 1 Gebinde 80 Fäden; die Fadenlänge eines Schnellers beträgt mithin 840 Yards = 2520 engl. Fuß. Häufig wird auch nach Spindeln gerechnet und eine solche auf 18 Schneller festgesetzt. In Frankreich beträgt der Haspelumfang 13/7 m, das Gebinde enthält 70 Fäden oder 100 m Fadenlänge, und der Schneller hat 10 Gebinde, also 1000 m Fadenlänge. Die Garne werden im Handel mit Nummern bezeichnet, welche ihre Feinheit ausdrücken. Nach englischem System werden diese Zahlen gewonnen, indem man wiegt, wieviel Schneller auf 1 Pfd. gehen. Feineres G. als 240 (also 240 Schneller auf 1 Pfd.) kommt selten in den Handel; das feinste G., welches vorkommt, hat die Nummer 300. Von Nummern über 20 sind im Handel nur die geraden Zahlen gebräuchlich, und bei Nummern über 100 springt die Zahl von 10 zu 10. Die gröbsten Garne sind Nr. 6 und 8. Docht- oder Lichtgarn hat 1/2–2. Für Talglichte dient Mulegarn Nr. 8–12, für Wachs- und Stearinlichte Nr. 20–40, für die gewebten hohlen Lampendochte Nr. 12–30. Zur Strumpfwirkerei werden die Nummern 6–36, aber auch 80–90 von Mulegarn verarbeitet. In Frankreich bestimmt man auch die Feinheit des Garns auf Grundlage des metrischen Systems und erhält so die metrische Nummer, welche angibt, wieviel Schneller zusammen 1/2 kg wiegen. Will man die englische Nummer auf französische berechnen, so hat man sie durch 1,18 zu dividieren. Aus diesen Verhältnissen ergibt sich, daß die Angabe, ein G. sei drei- oder viermal so fein (d. h. eine drei- bis viermal so hohe Nummer), bedeutet, daß es auf gleicher Länge nur 1/3- oder 1/4mal so viel Baumwolle enthält. Die Nummern drücken, mit andern Worten, die Gewichtsmenge der Baumwolle in einer bestimmten Fadenlänge aus; dem äußern Ansehen nach kann ein stark gedrehtes G. von niedriger Nummer feiner erscheinen als ein wenig gedrehtes G. von höherer Nummer. Die Baumwollgarne werden mit der Garn- oder Bündelpresse zu würfelförmigen Paketen, Packs oder Bündeln zusammengepreßt. Diese Bündel wiegen 2,5–5 kg, und in der Regel sind 5–10, auch 20 Schneller zu einer Docke zusammengedreht. Die
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 6. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 911. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b6_s0911.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2024)