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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 9

Strafgesetzbuch als § 130a desselben (sogen. Kanzelparagraph), welcher den K. mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bedroht. Gleiche Strafe trifft nach der Novelle zum Strafgesetzbuch (Gesetz vom 26. Febr. 1876) denjenigen Geistlichen oder andern Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufs Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in welchen Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind.

Kanzelparagraph, s. Kanzelmißbrauch.

Kanzen, s. Integral.

Kanzlei (Kanzelei, lat. Cancellaria, franz. Chancellerie, engl. Chancery), ursprünglich der mit Schranken (cancellis) umgebene Ort, wo die öffentlichen Urkunden, landesherrlichen Reskripte, Gerichtsurteile etc. ausgefertigt wurden; der erste Beamte hieß gewöhnlich der Kanzler (s. d.). Später wurden die höhern Gerichte Kanzleien genannt, z. B. Justizkanzlei; ihre Vorsteher hießen Kanzleidirektoren, Kanzleipräsidenten. Jetzt wird unter K. gewöhnlich nur das Schreiberpersonal (Kanzlisten) der Behörden verstanden, daher man von Ministerial-, Kabinetts-, Gerichts-, Amtskanzlei etc. spricht. Im Deutschen Reich ist dagegen die Reichskanzlei das Zentralbüreau des Reichskanzlers, welches den amtlichen Verkehr des letztern mit den Chefs der einzelnen Ressorts der Reichsverwaltung vermittelt. In der Schweiz ist die Bundeskanzlei (Chancellerie fédérale) zur Wahrnehmung der Sekretariats- und Kanzleigeschäfte bei der Bundesversammlung und bei dem Bundesrat bestimmt. In Österreich versteht man unter K. auch die Geschäftslokale der Notare, Anwalte, Bankiers u. dgl.

Kanzleipapier, s. Papier.

Kanzleischrift, s. Schreibkunst. Im Buchdruck diejenige Schriftgattung, bei deren Zeichnung die geschriebene K. in edlen Formen nachgeahmt ist (s. Schriftarten).

Kanzleistil, diejenige Art des schriftlichen Ausdrucks, welche von der obersächsischen Mundart ausging und schon seit dem 15. Jahrh. bei der Verschiedenartigkeit der landschaftlichen Mundarten und bei dem Mangel einer allgemeinen deutschen Schriftsprache zur Erleichterung des Verkehrs in den Kanzleien der hoch- wie niederdeutschen Fürsten angewandt wurde. Der K. bildete die Grundlage zu Luthers Bibelübersetzung und damit auch der neuhochdeutschen Schriftsprache. Während diese aber eine allgemeine Verbreitung und volkstümliche Entwickelung gewann, blieb die Schreibart der Kanzleien auf ihrem archaistischen Standpunkt stehen und ward dadurch dem Volk immer unverständlicher. Daher hat der K. in Deutschland nach dem Vorgang Preußens in den meisten deutschen Staaten jetzt seine Herrschaft verloren und dem einfachen Briefstil Platz machen müssen. Vgl. Geschäftsstil.

Kanzler (lat. Cancellarius, franz. Chancelier, engl. Chancellor), derjenige Beamte, welcher die Ausfertigung der Staatsurkunden zu besorgen hat. Die Kanzlerwürde war anfänglich eine der höchsten in den europäischen Reichen, welche regelmäßig mit Geistlichen besetzt wurde, da diese fast allein im Besitz litterarischer Kenntnisse waren. In Deutschland führte der Erzbischof und Kurfürst von Mainz den Titel Erzkanzler des heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Der von ihm ernannte Vizekanzler war der eigentliche Reichsminister und mußte stets um den Kaiser sein. Auch die Kaiserin hatte ihren Erzkanzler, den Abt zu Fulda. Der Erzbischof von Köln führte den Titel eines Erzkanzlers in Italien, der von Trier war Erzkanzler in Burgund. In Frankreich wurde der K. aus dem Stande der Rechtsgelehrten genommen; er war der oberste Staatsbeamte und wurde lebenslänglich ernannt. Da dies jedoch zu Unzuträglichkeiten führen konnte, wurde neben ihm noch ein Siegelbewahrer (Garde des sceaux) ernannt, welcher der eigentliche Justizminister war. In England ist der Großkanzler oder Lord-Kanzler (Lord High Chancellor) der erste Staatsbeamte, Präsident oder Sprecher des Oberhauses, Chef der Reichskanzlei, Justizminister und Vorsitzender des in dem obersten Gerichtshof bestehenden Appellationsgerichts (Court of appeal). Außerdem hat man in England noch einen K. des Herzogtums Lancaster und einen K. des Lehnshofs und der Finanzkammer (Chancellor of the Exchequer); letzterer ist der Finanzminister von England. Irland hat wieder seinen besondern Reichskanzler. In Deutschland wurden seit dem 15. Jahrh. auch die Präsidenten der obersten Gerichtshöfe K. genannt. In Preußen errichtete König Friedrich II. 1746 die Würde eines Großkanzlers, der an der Spitze der Justiz stand. Der erste Träger dieser Würde war der um das preußische Justizwesen sehr verdiente Samuel v. Cocceji; später wurde der Fürst von Hardenberg zum Staatskanzler ernannt, nach dessen Tod aber diese Stelle nicht wieder besetzt. Nach der Verfassung des nunmehrigen Deutschen Reichs steht an der Spitze der Reichsverwaltung der Reichskanzler (s. d.), welcher den Vorsitz im Bundesrat führt und vom Kaiser ernannt wird. In Österreich führte eine Zeitlang Graf Beust den Titel „Reichskanzler“; außerdem wurden wiederholt Ministerpräsidenten zu Staatskanzlern ernannt. In der Schweiz ist der Bundeskanzler der Vorstand der Bundeskanzlei (s. Kanzlei). Auch die Büreauchefs der Konsuln führen zuweilen den Titel K.; so ist z. B. dem Gouverneur von Camerun ein K. beigegeben. Endlich kommt die Bezeichnung K. als bloßer Titel vor. So gehört z. B. der „K. im Königreich Preußen“ zu den vier großen Landesämtern des Königreichs Preußen und zu den erblichen Mitgliedern des preußischen Herrenhauses. Auch führt bei manchen Universitäten der Kurator den Titel K.

Kanzler, Hermann, General im Dienste des Papstes, geb. 1822 zu Baden, trat 1845 in päpstlichen Militärdienst, kämpfte 1848 gegen Österreich, ward 1859 zum Obersten des 1. Regiments der päpstlichen Armee ernannt und von Lamoricière zum General befördert als Auszeichnung für sein kühnes Durchbrechen von Pesaro nach Ancona durch das piemontesische Korps. Seit Oktober 1865 Oberkommandant der päpstlichen Streitkräfte und päpstlicher Prominister der Waffen, befehligte er die päpstlichen Truppen 3. Nov. 1867 bei Mentana, leitete die Scheinverteidigung von Rom im September 1870 und bekleidet seitdem seine Ämter weiter, die natürlich durch die Einverleibung des Kirchenstaats in Italien jegliche Bedeutung verloren haben.

Kanzlist, ein auf einer Kanzlei (s. d.) beschäftigter Subalternbeamter.

Kanzōne (ital. Canzóna, „Lied“), eine lyrische Dichtform, die, zwischen dem Lied und der Ode gleichsam in der Mitte stehend, vorzugsweise zum Ausdruck ernster und schwermütiger Betrachtung bestimmt ist. Sie besteht aus mehreren längern gleichgebauten Strophen, auf welche eine kürzere Schlußstrophe folgt. Bestehen die gleichgebauten Strophen aus

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 9. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b9_s0478.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2021)