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Lemberg, im Mai 1915.

Die Stadt Lemberg ist unversehrt, doch herrscht wenig Leben. Solche, die die Stadt von früher kennen, finden sie beinahe ausgestorben. Fast alle Geschäfte tragen russische Aufschriften.

Den Nachmittag verbringen wir im schönen Kilinskiego-Park. Auch hier wenig Leute. Einige russische Militärs mit ihren Familien, ziemlich viel Halbwelt.

Nachdem wir uns von 7 Uhr früh bis 11 Uhr vormittags vergeblich beim Schalter angestellt hatten, um Karten für den Expreßzug nach Kiew zu bekommen, der einmal des Tages läuft, entschließen wir uns, nachts mit dem Personenzug weiterzufahren. Die russische Eisenbahnverwaltung gibt nämlich für jeden Zug nur so viel Fahrkarten aus, als tatsächlich Sitzplätze vorhanden sind. Eine gute Einrichtung, die uns vor überfüllten Wagen sichert, aber unangenehm werden kann, wenn man sich im letzten Augenblick zu einer Reise entschließen und einen bestimmten Zug benutzen muß.

Unterwegs, im Mai 1915.

Vor der Abreise in Lemberg eine unangenehme Szene auf dem Bahnhof. Wir stehen stundenlang eingekeilt am Schalter und warten auf das Ausgeben der Fahrkarten. Hier wird sehr streng darauf gesehen, daß jeder beim Anstellen seinen Platz in der Kette behält, und niemandem wird erlaubt, sich vorzudrängen. Da wir sehr früh gekommen sind, haben Schwester Mania und ich einen der ersten Plätze. Vor uns steht eine junge, hübsche Russin, scheinbar dem Mittelstande angehörig. Hinter uns russisches Militär, Offiziere, Offiziersdiener, die für ihre Herren die Karten lösen, Tscherkessen, Kosaken, alle Waffengattungen und Volksstämme. Dahinter

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/185&oldid=- (Version vom 1.8.2018)