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nach ihm und bleibt stehen. Mit letzter Kraft erfaßt er den Halfter, richtet sich auf, stützt sich mit der linken Hand auf den Säbel. So schleppt er sich weiter, unserer Front zu, Schritt um Schritt, mit zusammengebissenen Zähnen, von Zeit zu Zeit überfällt ihn eine jähe Schwäche, daß er zusammenzubrechen meint. Eiskalter Schweiß überrieselt ihn. Er muß weiter — er muß. Die Kugeln pfeifen.

Das Pferd bleibt stehen, rührt sich nicht vom Fleck. Der Leutnant ruft es, lockt es, es tut keinen Schritt nach vorwärts.

Dann wiehert es, geht um den Verwundeten herum und bleibt dicht an seiner anderen Seite. Wieder faßt er den Halfter, stützt sich mit der anderen Hand auf den Säbel und es geht weiter.

Ein Schrapnell reißt den Boden auf, streut seine Splitter. Das Pferd, das den Leutnant mit seinem Körper gedeckt, stürzt zu Tode getroffen.

Wie ihn die Sinne verlassen, fühlt der Leutnant Menschen um sich. Man bettet ihn auf eine Tragbahre, trägt ihn fort.


Przemysl, den 16.November 1914,
     am 10. Tag der 2. Belagerung.

Am Schabbes war ich in der Synagoge und im alten orthodoxen Bethaus. Ich hätte nicht von Przemysl weggehen dürfen, ohne das gesehen zu haben. Besonders der Gottesdienst im Bethaus war eigenartig und malerisch.

Erst gingen wir in die Synagoge. Hier halten die modernen, freigeistigen Juden ihren Gottesdienst. Das Gebäude ist ein ziemlich nüchterner, moderner Bau aus rotem Backstein. Der geräumige Tempel war fast leer, denn zu den modernen Juden gehören die meisten

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)