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Mitteilungen
des Verbandes deutscher Vereine
für Volkskunde
Nr. 6. (Korrespondenzblatt) November 1907.
Wesen und Aufgaben der Volkskunde.

Der junge Verband deutscher Vereine für Volkskunde hat in den ersten Jahren seines Bestehens schwere Zeiten durchgemacht. Der härteste Schlag für ihn war der Tod seines ersten Vorsitzenden, A. Stracks, der den Verband ins Leben gerufen hatte und mit der ganzen Entschlossenheit seines Charakters für ihn eintrat. Strack hat in der ersten Nummer des Verbandsorganes klar ausgesprochen, was ihn zu einer selbständigen freien Vereinigung der Vereine für Volkskunde bestimmt hatte: die Volkskunde sollte endlich auch in Deutschland eine Wissenschaft werden, die sich selbst genug ist und um ihrer selbst willen betrieben werden soll, die wohl von den Nachbargebieten lernen will, was sie zu ihrer eignen Entwicklung braucht, die aber nicht die Dienerin einer andern Wissenschaft sein darf. Selbstverständlich konnte in der kurzen Spanne Zeit, die Strack gewirkt hat, das Ziel nicht erreicht werden. Aber aus dem Auge werden wir es nicht lassen, und wenn es erreicht ist, wird erst dem Manne der gebührende Lohn zuteil werden, der es gewiesen.

Als Strack die Augen geschlossen hatte, schien es eine Zeitlang, als sollte der Verband wieder aus den Fugen gehen. Das wäre zu bedauern gewesen, da wir erst durch die vereinte Arbeit beginnen, die Methode des Sammelns und Verarbeitens des Stoffes auszubilden, das Gebiet fester zu umgrenzen, realen und idealen Gewinn aus der Beschäftigung mit der Volkskunde zu ziehen. Nur durch gemeinsames Wirken ist es möglich, viel unnütze und doppelte Arbeit zu verhüten und die geistigen Kräfte zu konzentrieren. Es ist auch die Verknüpfung aller Vereine deutscher Volkskunde – deutsch natürlich in ethnographischem, nicht in politischem Sinne – zum Verbande die Vorbedingung zu einer großen internationalen Vereinigung, die nur eine Frage der Zeit ist und zu der bereits die einleitenden Schritte getan sind. Solche Erwägungen müssen uns bestimmen, alles aufzubieten, um den Verband zu erhalten. Nur schweren Herzens habe ich die Leitung übernommen. Aber die Einigkeit, die unter den Vertretern der Einzelvereine in Eisenach herrschte, läßt mich hoffen, daß in gleichem Geiste auch weitergearbeitet wird und daß der Zentrale die Unterstützung der Einzelvereine nicht fehlt.

Ist nun bei Verfolgung des gemeinsamen Zieles die Einigkeit wünschenswert, so sind doch die Wege und Mittel, die zum Ziele führen, mannigfaltig und demnach auch die Ansichten darüber. Über diese muß gestritten werden. Erst durch den Streit der Parteien klären sich die Ansichten, und jede Wissenschaft, die keine Streitfragen bietet, ist tot oder siecht dahin. Zu dieser Klasse will die aufstrebende Volkskunde nicht gehören. Sie bietet noch ein weites Schlachtfeld für denkende Köpfe und bedarf der Kämpfer, wenn unsre wissenschaftliche und praktische Arbeit gefördert werden soll. Zu diesem Kampf hielt Strack die Mitteilungen des Verbandes für das geeignetste Organ,