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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

aus dem Grunde. Friedrich war an dem Stamm hinabgeglitten und starrte, die Arme über den Kopf verschlungen in das leise einschleichende Morgenroth. Plötzlich fuhr er auf: über sein Gesicht fuhr ein Blitz, er horchte einige Sekunden mit vorgebeugtem Oberleib wie ein Jagdhund, dem die Luft Witterung zuträgt. Dann schob er schnell zwei Finger in den Mund und pfiff gellend und anhaltend. – „Fidel, du verfluchtes Thier!“ – Ein Steinwurf traf die Seite des unbesorgten Hundes, der, vom Schlafe aufgeschreckt, zuerst um sich biß und dann heulend auf drei Beinen dort Trost suchte, von wo das Uebel ausgegangen war. In demselben Augenblicke wurden die Zweige eines nahen Gebüsches fast ohne Geräusch zurückgeschoben und ein Mann trat heraus, im grünen Jagdrock, den silbernen Wappenschild am Arm, die gespannte Büchse in der Hand. Er ließ schnell seine Blicke über die Schlucht fahren und sie dann mit besonderer Schärfe auf dem Knaben verweilen, trat dann vor, winkte nach dem Gebüsch, und allmählig wurden sieben bis acht Männer sichtbar, alle in ähnlicher Kleidung, Waidmesser im Gürtel und die gespannten Gewehre in der Hand.

„Friedrich, was war das?“ fragte der zuerst Erschienene. – „Ich wollte, daß der Racker auf der Stelle krepirte. Seinetwegen können die Kühe mir die Ohren vom Kopf fressen.“ – „Die Canaille hat uns gesehen,“ sagte ein anderer. – „Morgen sollst du auf die Reise mit einem Stein am Halse,“ fuhr Friedrich fort und stieß nach dem Hunde. – „Friedrich, stell dich nicht an wie ein Narr! Du kennst mich und du verstehst mich auch!“ – Ein Blick begleitete diese Worte, der schnell wirkte. – „Herr Brandis, denkt an meine Mutter!“ – „Das thu’ ich. Hast du nichts im Walde gehört?“ – „Im Walde?“ – Der Knabe warf einen raschen Blick auf des Försters Gesicht. – „Eure Holzfäller, sonst nichts.“ – „Meine Holzfäller!“

Die ohnehin dunkle Gesichtsfarbe des Försters ging in tiefes Braunroth über. „Wie viele sind ihrer, und wo treiben sie ihr Wesen?“ – „Wohin Ihr sie geschickt habt; ich weiß es nicht.“ – Brandis wandte sich zu seinen Gefährten: „Geht voran; ich komme gleich nach.“ Als einer nach dem andern im Dickicht verschwunden war, trat Brandis dicht vor den Knaben: „Friedrich,“ sagte er mit dem Ton unterdrückter Wuth, „meine Geduld ist zu Ende; ich möchte dich prügeln wie einen Hund, und mehr seyd ihr auch nicht werth. Ihr Lumpenpack, dem kein Ziegel auf dem Dach gehört! Bis zum Betteln habt ihr es, Gottlob, bald gebracht, und an meiner Thür soll deine Mutter, die alte Hexe, keine verschimmelte Brodrinde bekommen. Aber vorher sollt ihr mir noch Beide in’s Hundeloch!“

Friedrich griff krampfhaft nach einem Aste. Er war todtenbleich und seine Augen schienen wie Krystallkugeln aus dem Kopfe schießen zu wollen. Doch nur einen Augenblick. Dann kehrte die größte, an Erschlaffung grenzende Ruhe zurück. – „Herr,“ sagte er fest, mit fast sanfter Stimme; „Ihr habt gesagt, was Ihr nicht verantworten könnt, und ich vielleicht auch. Wir wollen es gegen einander aufgehen lassen, und nun will ich Euch sagen, was Ihr verlangt. Wenn Ihr die Holzfäller nicht selbst bestellt habt, so müssen es die Blaukittel seyn; denn aus dem Dorfe ist kein Wagen gekommen; ich habe den Weg ja vor mir, und vier Wagen sind es. Ich habe sie nicht gesehen, aber den Hohlweg hinauffahren hören.“ – Er stockte einen Augenblick. – „Könnt Ihr sagen, daß ich je einen Baum in Eurem Revier gefällt habe? überhaupt, daß ich je anderwärts gehauen habe, als auf Bestellung? Denkt nach, ob Ihr das sagen könnt.“

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_407.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)