schaft der Barbarei und der reaktionären Beschränktheit zaristischer Regierungsmethoden.
Die Ostjudenfrage, geschaffen durch den russischen Despotismus, ist eine Krankheitsquelle in gewissem Umfange für Osteuropa und in geringerem Umfange für Mitteleuropa mit weiterer Ausstrahlung nach Westen. Diese Krankheitsquelle sollte verstopft, sollte in ihren schlimmen Rückwirkungen beseitigt werden.
Wie? Auf welche Weise?
Es wird ein zutreffendes Urteil nur zu fällen sein, wenn man auf die historische Entwicklung des Problems in knappen Zügen hinweist.
Die Zusammenballung von jüdischen Massen im nördlichen Osteuropa geht zurück auf die Zeit der Kreuzzüge.
Die religiöse Erregung der damaligen Epoche, das Erwachen der Lust an Abenteuern in fernen Landen, deren Reichtum märchenhaft erschien; die Hoffnung auf Beute, auf zügelloses Leben, auf ein Losgelöstsein von der Sorge und dem Elend des Alltags veranlaßte idealistische Einzelpersonen und verbrecherisch veranlagte Scharen, sich zunächst von Frankreich gen Deutschland in Bewegung zu setzen; Palästina, dem heiligen Land, entgegenstrebend. Der Marsch dieser schlecht geordneten, völlig mangelhaft überwachten Haufen wälzte sich aus Frankreich nach Osten, zunächst nach dem Rhein vorwärts. Auf ihrem Wege verübten diese Scharen erklärlicherweise Plünderungen, Brandstiftungen, Vergewaltigungen jeder Art und insonderheit gegen die Juden, über die herzufallen am ungefährlichsten war; und den zahlreichen Fanatikern und dem Gesindel jener Tage erschien Mord und Plünderung der Juden überdies als ein Werk wohlgefällig Gott und der Kirche.
Paul Nathan: Das Problem der Ostjuden. Philo Verlag und Buchhandlung GmbH, Berlin 1926, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nathan-Das_Problem_der_Ostjuden_(1926).djvu/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)