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Die häufigste Todesursache der Kinder im 1. Lebensjahr sind die „Gichter“ (d. h. in ca. 60 %), so behaupten wenigstens die Leichenbücher. Die „Gichter“ spielen im Bezirk eine sehr große Rolle. Das Wort deckt so bequem alle die Sünden zu, welche eine unvernünftige, der Belehrung unzugängliche Erziehung gegen die kindliche Wohlfahrt begeht, daß man es sogar für nöthig gefunden hat, verschiedene Unterabtheilungen der Krankheit „Gichter“ aufzustellen („drückende“, „zehrende“, „stille“, „schreiende“ etc.) Da nach der Volksmeinung gegen „Gichter“ „kein Kraut gewachsen“ ist, so findet man regelmäßig (unter 100 Fällen ca. 90mal) die Rubrik „ärztliche Hilfe“ der Leichenbücher mit einem Striche ausgefüllt. In Wirklichkeit sind es Erschöpfungszustände aus sehr verschiedenen Ursachen, mangelhafte Verdauung und Blutbereitung durch meist zu reichliche und schlechte Nahrung, schleichende Darmkatarrhe mit Verhärtung der Gekrösdrüsen, Störung der Haut- und Lungenthätigkeit durch übertriebene Wärme, Unreinlichkeit, Luftverderbnis etc. Es werden zwar etwa 80 % der Kinder von den Müttern gestillt; allein daneben herrscht der unvermeidliche Brei, und die Muttermilch selbst wird durch frühes Verlassen des Wochenbetts, hartes Arbeiten und spärliche Kost in vielen Fällen eine schlechtere Nahrungsquelle als Kuhmilch.

Die brennende Tagesfrage der abnormen Kindersterblichkeit wird wohl keine befriedigende Lösung finden, so lange nicht der Werth des kindlichen Lebens höher taxirt und die Verantwortlichkeit für dasselbe ernster genommen wird, als dies bisher geschah.

Die Zahl der Selbstmörder vom Jahr 1818 bis 1877 (incl.) beträgt 119; darunter sind 99 männliche, 20 weibliche.

Es endeten

 durch Erhängen   78
 „     Ertränken 24
 „     Schußwaffen 10
 „     schneidende Werkzeuge 04
 „     Gift 02
 „     Nahrungsverweigerung 01.

Die muthmaßlichen Anlässe waren wie gewöhnlich theils geistige, theils körperliche Zerrüttung, Furcht vor Strafe u. s. w.

Es erübrigt, die herrschenden Krankheiten zu besprechen.

Von epidemischen sind es Scharlach, Masern, die in kürzeren, der Keuchhusten, der in längeren Zwischenräumen wiederkehrt.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Crailsheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1884, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OACrailsheim0100.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)