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Ernst Boger, Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Oehringen

Eigenthümliche erhalten. Neben dem auch in anderen Gegenden üblichen Schießen bei Kindtaufen, Hochzeiten und in der Neujahrsnacht sind zur Zeit der Kirchweihe noch mehrere Volksspiele, wie das Eierlesen, Hahnenschlagen, Heraustanzen oder Herauskegeln eines Hammels üblich. Der Tanz und das Kegelspiel gehören überhaupt zu den allgemeinsten Volksbelustigungen.

In der Johannisnacht wird rings auf den Höhen das vom heidnischen Sonnenwendefest herstammende Johannisfeuer angezündet, über welches die jüngeren Kinder hinüberspringen und wozu sie das Holz mit einem alt hergebrachten Spruche einfordern.

Bei Taufen der Filialisten von Oehringen wird manchmal auf Verlangen während des Zugs in die Kirche vom Thurme musicirt und zwar weltliche Musik, Walzer, Polkas etc. etc. Die weiblichen ledigen Pathen tragen dazu die großen weißen Hauben mit Blumen, die verheiratheten schwarze. Mit dem förmlichen Verspruch der Brautleute vor Eltern und Zeugen, dem „Heirathen“ wird die eheliche Verbindung als eine gültige und legale betrachtet. Nach diesem „Heirathstag“ folgt die Hochzeit als Akt der kirchlichen Einsegnung. Die erste häusliche Handlung vollzieht die neu eintretende Hausfrau im Hause mit dem Einschneiden einer Brodsuppe und mit dem Holen einer Gölte voll Wassers. Beim Einzug in die Kirche hat die Braut mit ihren Brautjungfern „den sog. Hochzeitmägden“, bei dem Herausgehen aus der Kirche der Bräutigam mit den „Hochzeitknechten“ den Vortritt; wie denn auch der Bräutigam dadurch, daß er während der Einsegnung am Altare seine Hand oberhalb der Hand der Braut zu halten sich bemüht und dadurch zu verstehen giebt, daß er von vornherein sein männliches Vorrecht zu wahren gesonnen sei. Bei dem Eintritt in das Haus werden die Brautleute von dem Hochzeitbitter mit feierlicher Anrede begrüßt. Wenn die Braut nicht aus dem Orte ihres Bräutigams ist, so wird sie von den männlichen Ortsgenossen zu Pferd und zu Wagen mit Fahnen und Musik eingeholt „einbladet“, d. h. einbegleitet. Die Fahnen, welche die Reiter tragen, bestehen aus Stöcken mit farbigen Taschentüchern, den Geschenken der „Hochzeitmagd“ an den „Hochzeitknecht“. Der Hausrath der Braut wird auf offenem, stolz bespanntem Wagen, auf dem vorn quer die Wiege mit Bett steht, fortgeführt. Bei Hochzeiten in den wohlhabenden Orten ist der Aufwand sehr beträchtlich und es werden dabei nicht selten ungefähr 40 Simri Kernen zu Gebäcken, 1 Schwein, 1 Rind, 60–80 Pfd. Kalbfleisch und einige Eimer Wein gebraucht.

Empfohlene Zitierweise:
Ernst Boger, Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Oehringen. H. Lindemann, Stuttgart 1865, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAOehringen0041.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)