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b. Andere wollen wissen, Kraft sei während des Thurmbaues für geschickter als der Meister erkannt und sei von demselben aus Eifersucht hinabgestoßen worden.

Am untersten Gesimse des Thurms sind zwei steinerne Figuren zu sehen, nemlich ein Jüngling, der todt zu Boden liegt und ein Mann, der mit abgeschlagenem Haupte neben ihm steht. Der erstere soll der Geselle sein, der andere der Meister, der wegen seiner That enthauptet wurde. (Mündl.)


26. Die Nonnen auf dem Engelsberg in Markelsheim.

Im 30jährigen Krieg, während der Belagerung des Neuhauses, kamen die Schweden auch nach Markelsheim und wollten auf dem Engelsberg die Klosterkirche, in welcher die Nonnen zur ewigen Anbetung versammelt waren, stürmen. Da sie die Thüren verrammelt fanden, so suchten sie durch die Fenster einzudringen. Sie stiegen zu wiederholtenmalen hinauf, wurden aber jedesmal von unsichtbaren Händen hinabgeworfen. Deshalb gaben sie ihren Versuch auf und zogen ohne Gewaltthat ab. (Mündl.)


27. Die weiße Zipfelkappe.

Es ist noch nicht gar zu lange, saßen in Markelsheim Abends in der Spinnstube mehrere Mädchen beisammen und erzählten einander Geistergeschichten. Zuletzt giengs an ein Wetten: welche von ihnen sich am wenigsten fürchte, die solle Nachts 12 Uhr auf den Gottesacker gehen und einem Todten die weiße Zipfelkappe abziehen und herbringen.

Da machte sich eine, die Unerschrockenste von ihnen, auf und gieng festen Fußes dem Kirchhof zu. Wie sie hinkam, sah sie einen Mann mit weißer Zipfelkappe auf einem Grabe sitzen. Das Mädchen war nicht faul und riß die Kappe dem Manne vom Kopf und eilte heim zu den anderen, bei denen sie glücklich ankam. Wie vom Blitze getroffen schauen diese die Verwegene und sprechen kein sterbiges Wörtlein.

Plötzlich, o Schrecken! hieng sich eine bleiche Mannsgestalt außen vor das Fenster und rief wiederholt: „Komm raus, komm raus, gib mir meine Kappe wieder!“ Wie Alles voller Bestürzung war und eine die andere anblickte, konnten sie nichts Eiligeres thun, als die freche Kamerädin schnell wieder hergeben heißen, was sie geholt habe. Anfangs wollte sie nicht recht, ließ sich aber doch bewegen. Sie machte das Fenster ein wenig auf und wollte dem bleichen Manne die Zipfelkappe hinausbieten. Der aber grinste sie an und sprach: „Bringe mir sie wieder dahin, woher du sie geholt hast“.

Es war nun nicht mehr anders zu machen und das Mädchen soll die andere Nacht zur nemlichen Stunde mit der Zipfelkappe wieder auf den Kirchhof hinausgegangen sein. Sie fand den Mann wieder auf demselben Grabe sitzen und setzte ihm die verhängnisvolle Kappe auf. Er habe sie furchtbar angegrinst und kein Wörtlein gesprochen.

Ihr Kopf habe von da an täglich an Umfang zugenommen und sei ungeheuer groß geworden. Bald darauf starb sie. (B. Volksth. I, Nr. 404.)

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0135.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)