Seite:OberamtMergentheim0602.jpg

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gediegen, die Gliederung auf das Feinste durchgeführt, die Portale mit reichstem Schmuck an Bildhauereien, desgleichen die hohen Strebepfeiler des Chores prachtvoll verziert. Westseite und Inneres wurden zum Theil im Spätrenaissancegeschmack umgeändert, doch ist man eben mit möglichster Wiederherstellung der Kirche in den alten gothischen Stil beschäftigt.

Betrachten wir nun die geräumige Kirche genauer. An der Westseite zieht Jedermanns Augen auf sich das Hauptportal, von großer Schönheit und einer bewunderungswürdig feinen Ausführung. In der spitzbogigen Lünette ist dargestellt in erhabener Arbeit die Krönung Mariä mit vielen Engeln, in den Bogenleibungen umher herrliches Laubwerk und musicirende Engelchen, ganz oben im Schluß vielleicht das Brustbild des Baumeisters, mit Schnurr- und Knebelbart, und neben ihm ragen die flink bewegten Gestalten zweier Steinmetzen heraus. Das im Rechteck um das Portal herlaufende Kaffgesims wird an den Umkehrungen gehalten von zwei herflatternden Engeln (leider verstümmelt, aber von trefflicher Arbeit), oben auf der Wasserschräge des Kaffsimses kriechen allerlei Thierchen, unten in der Hohlkehle üppigstes Laubwerk. Zwischen dem senkrecht aufsteigenden Gesims und dem Portale selbst trägt je eine schlanke Säule unter reichem Baldachin Maria mit dem Kinde, und einen Heiligen (ohne Kopf). An den Tragsteinen, auf denen das schon beschriebene Bogenfeld des Portals ruht, ist ein Jäger mit Horn (Jägermeister) und ein Laie mit hoher Kappe, vielleicht ein Vogt, lebensvoll ausgemeißelt.

Am schönen Portal der Südseite sieht man in der Lünette das höchst interessante Relief: Tod der Maria, mit den zwölf Aposteln, hinten Christus mit der Seele der Maria auf dem Arm. An dem Sarkophag, eigentlich der Bettlade, worin die Mutter Gottes ruht, steht schwach leserlich angeschrieben: iorg romer 1483. Zwei Apostel scheinen zugleich als „geistliche Stifter“ aufgefaßt zu sein. Dieses Portal ist ebenfalls reich mit Fialen und Krabben besetzt und wagrecht geschlossen von einem schönen Kleeblätterfries mit Lilienenden.

Das Portal an der Nordseite mußte der Hazfeldischen Grabkapelle weichen, die beschädigte Lünette davon lehnt jetzt außen an der Südwand der Kirche, man sieht darauf Mariä Verkündigung, mit jener auch an der Marienkirche in Würzburg angebrachten Auffassung, daß ein (steinerner) Schlauch von Gott Vater zur Maria herabreicht.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0602.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)