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Onkel und Neffe.
Erzählung von Rudolf Lavant.

Der 24. Decbr. des Jahres 1851 war einer von den kalten, frostklaren, glitzernden deutschen Wintertagen, nach denen man sich im sonnigen, duftigen Süden oftmals so plötzlich und so schmerzlich sehnt. Der Schnee knirschte unter jedem Schritt, er ächzte unter den Rädern der Wagen und der Rauchfrost der Nacht vorher hatte die kahlen Ebereschen an der Landstraße in lose, duftige Spitzenschleier gehüllt. Das sah denn ganz reizend und mährchenhaft feierlich aus und eine Kinderphantasie konnte die ganze Welt für verzuckert und verzaubert halten, wenigstens so lange, bis die Schwinge einer Krähe die Aestchen streifte und der zarte Schmuck derselben sich ablöste und niederstäubte.

Der nicht mehr junge, elegant gekleidete Mann, der um die Mittagsstunde einen Nebenpfad durch den Wald zwischen dem böhmischen Städtchen A. und der bairischen Stadt H. verfolgte, schien Sinn und Auge für diese frische winterliche Schönheit zu haben; er ging langsam, blieb wohl auch einmal stehen und achtete so wenig darauf, ob er an jeder Kreuzung weiter von der Chaussee abkam, wie jemand, der jeden Weg und Steg genau kennt und sicher ist, sich jeden Augenblick orientiren zu können. Aber plötzlich blieb er doch betreten stehen, ja seine Wange verfärbte sich sogar ein wenig. Aufmerksam gemacht durch ein zorniges Zischen und Pfauchen über ihm, hatte er emporgesehen und seine Augen waren denen einer ungewöhnlich großen schwarzen Katze begegnet, die auf dem vorstehenden dürren Ast eines starken Baumes saß und sich wie zum Sprung zusammengeduckt hatte; ihre Augen funkelten in grünem und gelbem Lichte und mit dem starken, buschigen Schweif peitschte sie sich, gereizt und doch unschlüssig, die Flanken. Derartige Begegnungen verursachen auch dem Beherzten ein unbehagliches Gefühl, wenn er waffenlos ist – die Möglichkeit, daß eine solche halbverhungerte Bestie herabspringt, wenn man sich von der Stelle rührt, ist ja nicht ganz ausgeschlossen und man kann dann doch mindestens arg zerkratzt und gebissen werden. Der Fremde errieth instinctiv, daß er nichts Besseres thun konnte, als seinen Feind scharf zu fixiren und ihn nicht aus den Augen zu lassen – so sahen sich denn Mann und Bestie mehrere Minuten lang zuwartend und drohend an und die Hand des ersteren schloß sich unwillkürlich fest um seinen zierlichen Spazierstock, als könne ihm derselbe in dem bevorstehenden Kampfe etwas nützen.

Da kam von der andern Seite des

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Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_04.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)