Seite:Onkel und Neffe 1 06.jpg

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– das muß dann so sein, haben wir aber nur ein paar Schwänzchen, so foppt sie uns den ganzen Abend und will wissen, ob sie etwa den Herrn Pfarrer und den Herrn Schullehrer auch noch zum Fischessen einladen soll und da kann der Onkel zuletzt ganz fuchtig werden. Sie will auch keine Sperlinge mehr braten weil ihr das Rupfen zu viel Mühe mache und die Dinger die Butter nicht werth wären, höchstens auf Kreuzschnäbel will sie sich noch einlassen, und ich habe doch die Spatzen zu Dutzenden von den Kirschbäumen geschossen, gleich vom Fenster aus. Wenn ich meine Bilderbogen austuschte oder auf Pappe gezogene Soldaten ausschnitt und die Spatzen ließen sichs in den Vogelkirschen gar zu wohl sein, nahm ich eben die Flinte aus der Ecke und schoß zum Fenster hinaus, und da ist der Tante in der Kochstube manchesmal vor Schreck das Geschirr aus der Hand gefallen und zertöpfert. Sie sagt, sie wäre ein bissel nervös, aber der Onkel und ich wissen nichts von Nerven, da braucht die Tante auch keine zu haben. Das war mit der armen Blindschleiche auch so eine Geschichte – hat da der Onkel gelacht!"

„Wie war denn das? Hat die Tante etwa gedacht, das wäre eine giftige Brillenschlange?"

„Das war diesen Sommer. Ich hatte mich mit einem Schüsselchen voll Wald-Erdbeeren – die aus dem Garten mag ich nicht, die haben gar keinen rechten Geschmack – und Milch auf die Bruchsteine gesetzt, die seit Jahr und Tag vor der Thür liegen – es sollte einmal irgend etwas gebaut werden, ist aber nichts daraus geworden – und da kam zwischen den Steinen das zierliche Köpfchen zum Vorschein und sah mich mit dem klugen Augen ganz vernünftig an; ich dachte mir: „was willst Du denn?" und ließ sie natürlich gehen; sie kam immer weiter heraus und zuletzt steckte sie den Kopf in die Milch und fing an zu saufen – ganz manierlich, und ich hatte meine Freude dran und sah ihr zu – gewiß hatte sie lange nichts so Gutes gehabt. Auf einmal kommt meine Tante in die Thür und wird kreideweiß – sie schreit laut auf und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, daß die Schlange wieder zurückfährt und die Knechte und Mägde zusammenlaufen und fragen, was los sei. Und dann mußten die Steine weggeschafft und die Schlange aufgejagt werden und die Knechte waren mit Prügeln und Mistgabeln hinter ihr her, durch den ganzen Hof, bis sie sie hatten, als aber der Onkel nach Hause kam, nannte er den Hansgörg, der sie aufgespießt hatte, einen richtigen alten Esel und sagte ihm, daß das Thier so unschuldig sei wie eine Bachstelze oder ein Rothschwänzchen. Zu mir aber sagte er, so seis recht – Männer dürften sich vor nichts fürchten. Mir hat er aber die Furcht auch recht bald abgewöhnt."

„Wie hat er denn das angefangen? willst Du mir das auch erzählen?"

„Warum denn nicht? Als ich vierzehn Tage da war und in allen Ecken bis auf den Boden und in den Kellern Bescheid wußte, wurde mir eines schönen Abends gesagt, ich schliefe nicht mehr mit parterre, sondern im ersten Stock in dem kleinen Zimmer neben dem Ahnensaal, wo die vielen alten geschwärzten Bilder hängen. Es ging auch niemand mit, und als ich fragte, ob ich das Licht mitnehmen dürfe, meinte der Onkel, es sei ja Mondschein und taghell und er wollte doch einmal sehen, ob ich ein tapfres Herz hätte. Mir wars freilich Angst und Bange, aber ich habe doch nichts gesagt, und als sich die Geschichte erst einige Male wiederholt hatte, standen mir die Haare nicht mehr zu Berge und ich wartete früh mit dem Heruntergehen nicht, bis es ganz hell geworden war und sah mir zuletzt, wenn es hell genug dazu war, auch die häßlichen alten Herren und Damen an den Wänden ganz kaltblütig an und zuletzt konnte ich sogar in den Spiegel sehen, und das hätte ich mir in den ersten Nächten doch um keinen Preis getraut. Jetzt geh ich Nachts durch den Wald und wenn man die Hand vor den Augen nicht sieht, und nur einmal ists mir unheimlich gewesen, – als ich auf einer sumpfigen Waldwiese Irrlichter herumtanzen sah; nachher hat mir der Onkel aber auch das ganz einfach und natürlich erklärt."

Ueber diesem Geplauder, das den Fremden ganz eigenthümlich zu bewegen schien und seine Mundwinkel mehr als einmal zucken ließ, während Hans mit der Katze in einiger Entfernung hinterhertrottete.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_06.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)