Seite:Onkel und Neffe 1 14.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
3.

Während der Abwesenheit Roberts hatte sich die Tante in das Nebenzimmer begeben, um dort die letzte ordnende Hand an die Bescheerung zu legen; erst im Laufe des Nachmittags hatte ein besonderer Bote aus H. die Dresdner Kiste gebracht, deren bunter Inhalt noch manche Aenderung des Arrangements nothwendig machte. Ihr Bruder war allein im Wohnzimmer zurückgeblieben, hatte sich eine frische Pfeife in Brand gesetzt und sich so in seine geliebte „Augsburgerin" und in einen Artikel über die Nothwendigkeit eines größeren Schutzes für die Fische in fließenden Gewässern vertieft, daß er ein mehrmaliges schüchternes Klopfen an der Thür ganz überhörte. Es war ein ziemlich ungeduldiges: „Herein!", mit dem er aufsprang, als er endlich das Klopfen vernahm, und die Zeitung zur Seite legte, um ein paar Schritte nach der Thür zu thun. Diese hatte sich inzwischen geöffnet und ein kleiner Knabe war in derselben erschienen, in der Rechten einen Brief haltend und in der Linken verlegen die abgeschabte, mottenzerfressene Pelzmütze drehend.

„An mich?" fragte der alte Herr, „und von wem?"

„Ich weiß nicht; ein fremder Herr in der Schenke, ein ganz feiner, hat ihn mir gegeben und ich habe einen halben Gulden Botenlohn bekommen – so viel verdient der Vater am Webstuhl von früh bis mittags nicht und ich bin nur die paar Schritte heraufgelaufen. Auf Antwort brauche ich nicht zu warten, Herr Verwalter." Und ziemlich eilfertig machte der kleine Patron kehrt und ließ den Empfänger mit der geheimnißvollen Botschaft allein.

Die Handschrift der Adresse wie das Siegel waren demselben fremd, wenngleich die erstere eine gewisse vage Erinnerung in ihm wecken wollte. Er riß den Brief hastig auf, entfaltete ihn und trat mit ihm an den Tisch und in den Lichtkreis der Lampe; aber kaum hatte er die Anrede gelesen, als eine seltsame Veränderung mit ihm vorging; sein offenes, freundliches und joviales Gesicht verdüsterte sich, seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen und auf der gerunzelten Stirn erschien ein drohender rother Fleck; wer den Alten kannte, wußte, daß in diesem Moment nicht gut Kirschen mit ihm essen war – Holz- und Wilddiebe hatten zu ihrem Schaden an sich erfahren, wie wenig mit ihm zu spaßen war, wenn diese Symptome sich zeigten. Er setzte sich wieder auf's Sopha, um langsam, jedes Wort wägend, den Brief zu lesen, aber es war, als würde er dabei nur starrer und unbeugsamer, knorriger und feindseliger, und als er den Brief heftig zurückschob, kam halb unbewußt von seinen Lippen ein trotziges: „Nein – niemals!" Hart und scharf klang es auch, als er im nächsten Augenblick hinüber ins Nebenzimmer rief: „Theres – bist Du so weit?"

Ueberrascht und fast erschrocken, denn sie kannte diesen Ton trotz oder gerade wegen seiner Seltenheit nur zu gut, ohne eine Ahnung davon zu haben, was denselben in dieser Stunde veranlaßt haben könnte, trat das trotz ziemlicher Beleibtheit flinke und resolute alte Mädchen rasch ins Zimmer und fragte besorgt:

„Was ist denn da plötzlich los, Heinrich? Seid ihr wieder einmal einer Wilddieberei auf der Spur? Heute Nacht wirst Du aber doch nicht hinausgehen – bei dem heillosen Wetter? Diese unseligen Geschichten! ich sage Dir, da passirt auch einmal ein Unglück, Du bist nicht vorsichtig genug und traust Keinem zu, daß er es mit Dir aufnimmt und – „Ach, wer spricht denn davon?" ward sie ziemlich kurz und rau unterbrochen. „Ich habe die Kerle, die das Knallen in unsern Forsten nicht lassen können, gehörig auf dem Strich, aber wenn zehnmal drüben im Wolfsholz ein angeschossener und im Busch verendeter Bock läge, das sollte mir die Weihnachtsfreude nicht verderben und ich dächte

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_14.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)