Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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So erzog man uns zu Patrioten und Staatsbürgern, wir wurden Steuerzahler und dienten Mütterchen Rußland zum Schutz, wir strebten nach Aufklärung und zogen für die Dreieinigkeit „Zar, Glaube, Vaterland“ in die Schlachtfelder.
Nun liegt sie zertrümmert, diese allmächtige Dreieinigkeit.
Aufgehört haben wir, Knechte eines Zaren zu sein. Das freieste der Völker sind wir heute.
Unser ist das Raubrecht, der Bourgeoisie haben wir das Straßenfegen und Stallreinigen gelernt und der Bruder schlägt den Bruder tot mit dem Revolutionsgesang: „Immer drei auf einen und hinterher das Saufen.“
O wie herrlich hat uns die Freiheit beschenkt.
Sie gab uns den Hunger!
Einen Hunger, wie ihn nie vorher die Welt gesehen. Mit Wurzeln und Beeren haben wir den Magen gefüllt, über Tierleichen sind wir hergefallen wie die Hyänen.
Mit dem scharfen Messer im Stiefelschaft wird gemordet von Haus zu Haus, bis uns die Überschwemmung des eigenen Blutes zu ertränken droht.
Dann erst werden wir die Messer von uns werfen, in die Knie stürzen, die Hände ringen und flehend rufen:
„Unsere Schuld schreit zum Himmel. Wir haben das Gewissen umgebracht und unsere Mutter Erde. Ihr zivilisierten Völker ringsum: Kommt und rettet uns!“
(Als Rußland in seinen schwersten Wehen lag, wurde dies Buch geschrieben. Manches, auch Sowjet selbst, wird heute mit anderen Augen geschaut. Da die Einstellung des Verfassers gegen die große russische Revolution charakteristisch, sei das etwas überholte Vorwort trotzdem im wesentlichen festgehalten.)
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/13&oldid=- (Version vom 15.9.2022)