Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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Das große Geheimnis der Giftmischerei wird heilig gehütet und von der „Viedunja“ nur wieder der vertrauten und erprobten Gehilfin als Erbe übergeben.
Zumeist ist die Gehilfin der „Viedunja“ ein geraubtes Kind, das sich die Giftmischerin taubstumm macht, um der Geheimhaltung ihrer Kunst sicher zu sein.
Gehacktes Menschenhaar, Scherbenglas, Rinds- und Fischgalle spielen außer den Giften aller Art bei den Praktiken der „Viedunja“ wichtige Rollen.
Die Menschen tötet die Viedunja durch Vergiftung von Speise und Trank und durch die Präparierung von Messern und Nadeln, mit denen der Gegner zufällig verletzt wird. Auch Bettkissen werden vergiftet, um den Schlafenden durch den Giftdunst zu töten.
Als mich das Gericht der ersten russischen Revolution zu zwei Jahren Festung verurteilte, lernte ich eine Viedunja kennen, die wegen einer ganzen Reihe von Giftmorden 15 Jahre Kerker zu verbüßen hatte.
Sie war nicht mehr ganz jung, äußerst mager, mit einem unheimlichen, düsteren Gesicht und einem immer nach rückwärts gerichteten Blick.
Ihre Bewegungen waren langsam und faul, doch ihr schleifender Schritt und das immer suchende Auge waren von tierischer Vorsicht erfüllt.
Nur selten hob sich ihr schwerer Blick vom Boden hoch und einmal traf er auch mich, dieser unbewegliche, übernatürliche Blick und mir war es, als durchbohrte er mir die Seele.
Wie viele ihrer Opfer, die sich sterbend in ihren Schmerzen vor ihr gewunden haben, mag sie mit der Kraft ihrer Augen so wie mich durchdrungen haben?
Was für Gedanken nisten in diesem Schädel, der sich so wackelig auf langem, dünnem Hals bewegt?
Was für ein Herz kann in dieser Brust schlagen? Sie war eine Verbrecherin größten Formats.
Die Gerichte der verschiedensten Gouvernements haben allein zwanzig der durch diese Viedunja getöteten Menschen entdeckt, wohl nur ein kleiner Bruchteil ihrer zahllosen verborgen gebliebenen Giftopfer.
Das Leben einer solchen Viedunja ist ein rastloses Wandern von Ort zu Ort, denn nach vollbrachtem Mord muß sie, mit Geld oder
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/48&oldid=- (Version vom 14.9.2022)