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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

bevor. Bittet zu ihm mit Euerem Blute! Schneller! Sofort! Beeilet Euch! Beeilet Euch! Gebt Blut — Blut …!“

Ein junger Bauer mit schwarzen, schiefen Augen stößt einen fürchterlichen und dabei wie ein Kind dünnen Schrei aus und stürzt nach vorne. In seiner Hand blitzt ein breites Jagdmesser einen Augenblick auf, dann fällt sein Körper mit einem dunklen Röcheln auf den Fußboden hin. Aus seiner durchschnittenen Kehle schießt ein Blutstrom und aus seinem Munde dicker, roter Schaum.

Der Mönch wirft sich neben dem Sterbenden auf die Knie, legt die Hände auf das Haupt des Toten und betet lange, lange. Jetzt steht der Mönch auf, sein Gesicht strahlt vor Begeisterung und Entzücken. Er streckt die Hände in der Richtung der Türe aus und ruft voller Triumph: „Fallet nieder, denn Gott der Herr ist unter Euch.“

Der Donner dröhnt auf und die Erde erzittert. Wie meine vom Blitze geblendeten Augen wieder imstande sind, das Innere der Stube zu erkennen, sehe ich alle Bauern am Boden ausgestreckt, mit ihren Gesichtern nach unten und bebend vor Angst.

Der Mönch aber steht vor dem Bilde des Heilands mit ausgebreiteten Armen und betet inbrünstig, voll Begeisterung. Über sein Gesicht fließen aus seinen weitgeöffneten, wahnsinnigen Augen unaufhaltsam die Tränen.

Das war Stephan Kolesnikow.

Im Laufe eines Sommers haben achtzehn Bauern auf diese Art unter dem hypnotischen Einfluß Kolesnikows und einer primitiven, elementaren Angst vor Naturerscheinungen ihr Leben eingebüßt.

Ein Zufall machte mich zum Augenzeuge dieser Schauerlichkeit.

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/82&oldid=- (Version vom 15.9.2022)