Ich erlaube mir im Folgenden eine Einheitslehre vom Raume und der Zeit zu entwickeln, die sich von den herrschenden Anschauungen über Raum und Zeit wesentlich unterscheidet, und die mir aus einer Verbindung von erkenntnistheoretischen und geometrischen Betrachtungen erwachsen ist. Es ist vielleicht zweckmäßig, eine Skizze dieser Betrachtungen vorauszuschicken und die eigentliche Theorie vom Raume nachfolgen zu lassen, weil die innere Geschichte eines Gedankens dazu beitragen kann, den Gedanken selbst in ein helleres Licht zu setzen.
Den Ausgangspunkt meiner erkenntnistheoretischen Überlegungen bildete die allgemein gemachte Wahrnehmung, daß der menschliche Verstand sich bei der Betrachtung der Thatsachen der Erfahrung in die mannigfachsten inneren Widersprüche verwickle. Da nun eine ausführliche Aufzählung aller möglichen Widersprüche des Verstandes nicht durchführbar zu sein scheint, so legte ich mir die Frage vor, ob nicht gewisse Haupttypen derselben unterscheidbar wären, und was noch wichtiger ist, ob nicht ein allgemeinster innerer Widerspruch des Verstandes zu finden wäre, als dessen spezielle Fälle sich alle möglichen Selbstwidersprüche des Denkens nachweisen ließen. Dieses Streben, die Quelle aller möglichen inneren Widersprüche des Verstandes zu ergründen, führte mich zu dem eigentümlichen Resultat, daß die sogenannten Selbstwidersprüche des Verstandes aus dem Baue der menschlichen Sprache abzuleiten sind.
Menyhért Palágyi: Neue Theorie des Raumes und der Zeit. Wilhelm Engelmann, Leipzig 1901, Seite III. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PalagyiRaumzeit.djvu/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)