Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 186.jpg

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vor Versuchen, deren Mißlingen vorauszusehen war, zu bewahren, suchte ich diese wichtige Frage zu beleuchten. Aus jenem Aufsatz mögen einige Sätze hier Platz finden. Ich sagte damals über Pacquet’s Abhandlung:

Der in Rede stehende Aufsatz enthält viel Interessantes und Wahres, aber die Anwendung der gegebenen Theorien in der Praxis ist nicht richtig. Wir finden dies leider gar häufig und um so eher, je tiefer die Wissenschaft in das innere Leben der Natur eindringt und je weniger die Praktiker eine allgemein richtige Auffassung dieser Lehren zu erstreben suchen. Einseitige Ansichten schaden in der Praxis meistens immer, da hier alle Haupt- und Nebenumstände beachtet werden müssen, wenn die Theorie ein richtiger Wegweiser werden soll.

Wie wichtig die Blattorgane für das Leben der ganzen Pflanze sind, wird jeder, der sich je mit Pflanzenkultur abgab, wissen; er weiß aber auch, daß die Pflanzen gewöhnlich nur einen Theil derselben entwickeln, daß viele in dem Knospenkeime schlafend bleiben und erst unter besondern Einflüssen in’s Leben gerufen werden. Fast jeder Zweig unserer Obstbäume ist hiefür Beleg. Eine alte Regel, die der praktische Gärtner wahrlich nicht erst von der Wissenschaft lernte, ist aber, daß Blätter und Wurzeln, oder oberirdische und unterirdische Organe in genauer Beziehung zu einander stehen, und daß ein gewisses Gleichgewicht zwischen ihnen obwalte, was die Kultur zu erhalten bemüht seyn muß. Dies Gleichgewicht ist aufgehoben, wenn (wie beim Verpflanzen es ja unvermeidlich ist) ein Theil der einsaugenden unterirdischen Organe, der Wurzeln, beschädigt und dadurch momentan unthätig gemacht wird.

Die gewöhnliche Praxis ist nun aber, wenn dies möglich ist, die oberirdischen Theile vor den Nachtheilen des gestörten Gleichgewichts, vor Erschöpfung, zu bewahren, indem wir frisch verpflanzte Gewächse theils in feuchte geschlossene Luft bringen, beschatten und dadurch sowohl vor zu rascher Verdunstung schützen, als auch durch ein Medium feuchter Luft, das wir um die Blätter erhalten, diesen eine reichere Nahrungsquelle zuführen. Wenn dies nicht möglich ist, wird das gestörte Gleichgewicht durch Wegnahme einer verhältnißmäßigen Menge von oberirdischen Organen, durch Beschneiden, wieder herzustellen gesucht. Der letztere Fall findet beim Verpflanzen junger Obstbäume Statt.

Es ist ein großer Irthum des Herrn Pacquet (wie auch in jenem ersten Satz Dubreuil’s), aus dem sich die falsche Schlußfolgerung vorzüglich herschreibt, daß er das Beschneiden der Zweige mit der Wegnahme von Blättern für gleichbedeutend hält. Pacquet sagt nämlich: „Die Blätter gehören zu den Haupthebeln alles Wachsthums. Dies beweist sich einfach dadurch, daß man einem zu üppig wachsenden Zweige nur einen Theil seiner Blätter nehmen darf, um seinen Trieb augenblicklich zu mäßigen und daß ein solcher Zweig, wenn man ihm alle Blätter nimmt, sich nicht mehr verlängert und verdickt. Fordert man noch einen andern Beweis von der Wirkung des Abstutzens der Zweige, welches gleich ist der Beseitigung der Blätter auf die Vegetation?“

Dies ist gar kein Beweis, indem zwischen dem Beschneiden im Safte, wohin das Wegnehmen von Blättern gehört, und dem Beschneiden im blattlosen Zustande ein ungeheurer Unterschied ist. Der Schnitt im Frühjahr verstärkt

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_186.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)