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sicher seine Krone trägt, eine wahre Seltenheit war, dagegen aber schiefe, hin und her gebogene, wenn auch sonst wuchshafte Krüppel zur Tagesordnung gehörten. Kam nun vollends einmal ein recht kalter Winter mit reichlicher Schneebedeckung, so gingen im Sommer darauf gewöhnlich eine Menge schmucker Bäume durch Krebs und Brand zu Grunde, welche Uebel meist 1½ bis 2½ Ellen über dem Boden, d. h. da zum Ausbruch kamen, wo die jungen Bäume in Folge der nächtlichen Wärmeausstrahlung über der dichten Schneedecke die meiste Winterkälte zu ertragen gehabt hatten. Ganz vorzüglich zugänglich für dieses Uebel zeigten sich die Pipings, die Edel-, Englische Granat-, Pariser Rambour-Ananas-, van Mons Gold-New-Yorker- und Carmeliter-Reinette, der Weiße und Rothe Wintercalville, Adams Parmaine, der Rothe Borsdorfer, der Italienische Rosmarinapfel und der Rothe Winterstettiner, während von den Birnen die Enghien, die Forellenbirne, die Virgouleuse, die Winterambrette, die Sparbirne und die Graue Herbst-Butterbirne gegen die Kälte besonders empfindlich waren.

Offenbar ist unser Klima für viele dieser zarten Obstsorten etwas zu rauh, wie schon die weit größere Güte und Feinheit derselben Obstfrüchte, wenn wir sie aus dem südlichen Frankreich oder aus Italien zugesendet erhalten, denen gegenüber zeigt, die wir hier bei uns selbst erziehen. Auch braucht man nur die kräftigen und alten Obstbäume am Rhein und seinen größern Zuflüssen mit Bäumen derselben Sorten in den rauheren Gegenden Deutschlands zu vergleichen, um einzusehen, daß unser deutscher Obstbau überall der Nachhilfe und Unterstützung[WS 1] gegen die Rauheit unseres Klima’s bedarf.

Diese Erfahrungen brachten mich nach und nach zu dem Entschlusse, diejenigen Obstsorten, die entweder wegen der Spärlichkeit oder Ungeschicklichkeit ihres Wachsthums oder wegen ihrer großen Empfindlichkeit gegen die Kälte sich nicht wohl zur Veredlung gleich unten am Boden eignen, mir besonders anzumerken, um sie von nun an nur in einer Höhe von 3½ Ellen (7′) oben in die Krone zu veredeln. Sind – so meinte ich – künftig die Stämme von unten bis zur Kronhöhe starke und gesunde Wildlinge, so werden sie die Härte des hiesigen Klima’s leichter ertragen, und die zärtlicheren Edelsorten oben in der Krone werden in dieser Höhe weniger von der Winterkälte zu leiden haben, als da, wo diese unmittelbar über der schützenden Schneedecke am heftigsten ist, während der Stamm nur eine Elle tiefer unter dem Schnee kaum noch einige Grad Kälte zu ertragen hat.

Es galt also nun, stattliche und gesunde Wildlinge bis zur Kronenhöhe zu erziehen. Anfangs schien mir das ganz leicht zu seyn. Aber schon nach einigen Jahren zeigte sich eine auffallende Verschiedenheit auch im Wachsthum der Wildlinge, selbst derjenigen, die aus einerlei Kernen erzogen waren. Fast jeder Stamm zeigte eine andere Individualität. Einige wuchsen gerade und stämmig empor und hatten schon nach wenigen Jahren die Kronenhöhe und unten eine ansehnliche Stärke gewonnen, andere trieben dünnes, schwächliches Holz, mußten alljährlich zurückgeschnitten werden, und lieferten zuletzt noch immer schwächliche, knotige und garstige, hin und her gekrümmte Stämme. Nicht wenige zeigten sogar nach jedem nur einigermaßen kalten Winter erfrorene Spitzen und beim Zurückschneiden

derselben bis weit herunter einen braunen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Un|stützung
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_194.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)