Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 316.jpg

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Muttergewächses, nach und nach den Wildling immer mehr überwachse, während dieser bei seinen gedrungeneren, engeren und festeren Gefässen zurückbleibe; man könne aber die größere Dicke des Edelstammes gegen den Unterstamm nur daraus erklären, daß der in den oberen Theilen des Baumes befindliche Saft bei der Pfropfstelle ganz in seinem Fortgange gehemmt werde und aufstaue. Allein, was da zuvörderst diese letzte Behauptung betrifft, so wird sie schon dadurch widerlegt, daß es ebensowohl und gar nicht selten vorkommt, daß umgekehrt der Wildling bis zur Pfropfstelle beträchtlich dicker ist, als der Stamm der aufgesetzten Edelsorte, weßhalb man diese Differenz in der Stammdicke also völlig richtig aus der verschiedenen Wachsthumskraft und erreichbaren Dicke des Wildlings und Edelreises erklärt. Mir sind Bäume der letztgedachten Art genug vorgekommen, und fand größere Dicke des Unterstammes sich z. B. bei der Mehrzahl meiner großen Apfelstämme in Bardowick, die, obwohl sie im ächten Stammtheile einen guten Fuß im Durchmesser hatten, unweit der Erde eine fast noch einmal so große Dicke annahmen, und auf ihrem Fußgestelle stehenden Säulen glichen. Dieselbe Erscheinung bot der Stamm einer[WS 1] Rothen Maikirsche dar, die sichtbar in der Mitte der Höhe des Stammes auf einen Herzkirschen-Wildling veredelt war, gegen den die Süßweichsel sehr zurückbleibt. Finden sich unter unseren jüngeren Bäumen mehr solche, bei denen der Edelstamm dicker ist, als der Unterstamm, so möchte dieß beweisen, daß wir in der Wahl der Unterstämme seht häufig einen Fehler machen, und eben darum, weil wir zu klein bleibende Wildlinge zur Unterlage wählten, auch unsere Edelsorten die Größe, welche sie früher hatten, häufig nicht mehr erreichen wollen. – Sodann, wem fällt wohl bei der Behauptung, daß an der Impfstelle eine totale, den Saftgang so nachtheilig hemmende Vermaserung entstehe, nicht die Frage ein, wie es dabei doch zugegangen sey, daß wir bisher so viele veredelte Bäume hatten, und in nicht ausgesogenem Boden noch haben, die aller dieser Hindernisse ungeachtet außerordentlich groß und sehr alt wurden, auch oft strotzend tragbar sind, wobei ja doch zur Ernährung der Früchte Saft genug hinaufkommen muß. Eine Ursache wirkt ja immer, und könnten auf jeden Fall nicht so ganze Sorten durchweg, wo nur sonst die Bedingungen günstig sind, trotz aller totalen Vermaserung eine beträchtliche Größe erlangen. Dazu stammen diese großen, uralten Bäume aus einer Zeit her, wo man noch alles in den Spalt pfropfte, bei welcher Veredlungsart immer der größte Wulst und die stärkste anfängliche Verschraubung der Saftgefässe entsteht.

Es ist indeß auch mit der totalen Vermaserung so schlimm nicht. Wird geschickt oculirt, so wächst das austreibende Auge kaum anders an, als wenn es auf seinem natürlichen Standpunkte am Baume einen Zweig gebildet hätte; und wird copulirt, so entsteht, wenn man die Bänder nicht zu lange sitzen läßt, und nicht zu dicke Wildlinge veredelt, so wenig ein Wulst, und wächst alles so regelmäßig an, daß man ein paar Jahre nachher die Pfropfstelle gewöhnlich nicht mehr auffinden kann. Als mir, wie obgedacht, in einem harten Froste, die gute Hälfte meiner Baumschulenstämme in Nienburg bis gegen die Erde hin erfroren war, habe ich nicht wenige Mühe gehabt, um bei vielen Stämmen noch herauszubringen, ob sie noch ächt seyen oder nicht, und wo ich die Veredlungsstelle nicht mehr finden konnte, und

mich nicht später die Verschiedenheit der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: einen
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_316.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)