Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 335.jpg

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Man bringe ferner die Hauptclassen, z. B. Calvillen, Reinetten, Streiflinge etc., runde und lange Damascenen, Pflaumen, Herzkirschen, Knorpelkirschen etc. je auf einen Ast zusammen; man sehe namentlich darauf, daß nahe verwandte Sorten so nahe als möglich ihre Stelle finden; hiedurch wird die Kenntniß und Unterscheidung der Varietäten, die Wahrnehmung ihrer besonderen Charaktere, der Vegetation, Reifzeit etc. außerordentlich erleichtert; namentlich aber versäume man nicht, an den Spitzen der Aeste, und besonders am Gipfel des Baumes, stark treibende Sorten anzubringen, wodurch der Baum nicht nur zur weiteren Ausbildung seiner Krone angeregt, sondern auch dem Uebelstande abgeholfen wird, daß, wie es der Fall ist, wo schwach treibende Sorten die Spitze der Aeste einnehmen, die untenstehenden Edelreiser die Säfte an sich ziehen, und nicht selten das Absterben des äußersten Zugastes zur Folge haben.

In erster Linie ist nun freilich vor Allem der Baum genau zu untersuchen, der den künftigen Probe- oder Sortenbaum bilden soll. In der Regel greift man bei der Auswahl zu solchen Individuen, welche entweder hinsichtlich der Sorten, welche sie tragen, nicht conveniren, oder nicht fruchtbar sind, oder überhaupt in einem Zustande sich befinden, wo es wenig Ueberwindung mehr kostet, den Baum aufzuopfern. Wenn die Gattungsverwandtschaft zwischen der Unterlage und den Probesorten einmal vorhanden ist, so ist es allerdings ziemlich gleichgültig, welche Varietät der Baum getragen hat, der zum Probebaum avanciren soll; aber man glaube ja nicht, daß dazu jeder alte Knorren gut genug sey, der schon seit Jahren kränkelt, man wähle ja nur gesunde und kräftige Exemplare, wenn man nicht unsägliche Mühe vergeblich gehabt haben will, was ganz besonders vom Steinobst gilt, bei welchen, wenn die Bäume einmal zu kränkeln anfangen, schnell ein Ast um den andern vertrocknet und alle Hoffnungen vereitelt werden. Der Grundstamm muß sich in Ausbildung aller seiner Organe kräftig zeigen, Kernobstbäume, welche durch feste Holzbildung, durch dünne Aeste und Zweige sich bemerklich machen, welche in der Regel von festerer Consistenz sind, als dicke Zweige, taugen nicht zu Unterlagen; denn weil die Kanäle, welche die Holzfasern durchziehen, hier von engerer Construction sind, als bei Bäumen mit reicherem und stärkerem Holze; so führen die engeren Gefässe nicht genug Nahrungssäfte dem mit weiteren Gefässen gebildeten Edelreise zu. Zwar ergießt sich bei solchen Bäumen mit fester gebildeter Holzunterlage, als der veredelten Sorte eigen ist, den Saft reichlich zwischen Splint und Bast in die Aeste, daher das Edelreis nicht abstirbt, sondern ernährt wird, ja, das Anwachsen des Edelreises wird dadurch begünstigt, daß sich leichter bei Unterlagen, deren Holz härter construirt ist, als das des aufgesetzten Edelreises, das Cambium bildet, indem die anomale Structur der Kanäle im Edelreise nicht sogleich die aus den Kanälen der Unterlage aufsteigenden Säfte aufnehmen kann, daher diese an der verwundeten Stelle überfließen und das Cambium reichlicher bilden. Dieses hat dann aber die Folge, daß die Edelreiser wegen der gehemmten

Zuströmung der Säfte aus den Gefässen,


    Aeste stehen aber bekanntlich den obern in Vezug auf Stärke des Wuchses in der Regel nach, und mir sind mehrfach schwachtriebige Sorten, die auf den, stärkerm Saftzufluß genießenden, oberen Aesten herrlich gediehen sind, auf untern Aesten bald ausgegangen, während die starkwüchsigen Frühsorten hier gemäßigter wachseir und bald und reichlich Früchte tragen.

    Lucas.

Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_335.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)