Seite:Pomologische Monatshefte Heft 1 420.jpg

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Triebe gemacht hatten. Ihre Zahl war, da zu viele Stämme erst Ende Juli oder Anfangs August umgesetzt waren, immer noch ziemlich beträchtlich, und ging merklich über 100, ja wohl über 150 hinaus. Ich hegte anfangs die Absicht, ein paar Dutzend dieser Stämme, deren Verlust Lücken in meinem Sortimente herbeizuführen drohte, herauszunehmen und frostfrei zu durchwintern; doch fehlte es dazu an einem passenden Lokale, zumal viele dieser Stämme schon ziemlich herangewachsen waren; auch trat schon früh Frost ein, und war dann bis Neujahr die Witterung so naß und kalt, daß man draußen ohne Gefahr für die Gesundheit selten ausdauern konnte, und da auch der Boden der Baumschule häufig durch Regen sehr schmierig war, um ohne Beschwerde zu den Bäumen kommen zu können, und das Verziehen stärkeren Frostes einen gelinden Winter hoffen ließ, blieben schließlich alle stehen. Nur so viel konnte ich thun, daß ich von ein paar Dutzend Stämmen, mit deren Eingehen auch die Sorte aus meiner Baumschule verloren gegangen wäre, so gut es sich thun ließ, Reiser nahm (häufig zweijähriges Holz), und diese auf junge Wildlinge setzte, die in Töpfen auf dem Blumenzimmer durchwintert wurden und im Frühlinge auch meistens gekommen sind. Mit dem Januar trat dennoch unerwartet ein strengerer Winter ein, der – wie wohl ziemlich überall in Deutschland der Fall gewesen sein wird – mit geringen Unterbrechungen bis zum März fortdauerte, ja selbst im März noch häufig Schnee und Frost, und im April wenigstens noch herrschende kalte, häufig naßkalte Witterung zur Folge hatte, so daß die Vegetation sich nur sehr langsam im Frühlinge entwickelte und die Blüthe der Kirschbäume erst um die Hälfte des Mai eintrat. Dieser nur sehr allmähliche Eintritt der Frühlingswärme mag überall, und so auch in meiner Baumschule für das Leben der durch Frost beschädigten Obstbäume heilsam eingewirkt haben; indeß hatten wir hier doch mehrmals auf etwas längere Perioden eine Kälte von 12–15 Graden Reaumur[WS 1], die einmal auch fast 24 Stunden auf 18°[WS 2] und später, doch nur eine halbe Nacht hindurch, auf 22°[WS 3] stieg, und konnte der Frost, zumal auch der Schnee nicht hoch lag, tief genug eindringen, so daß namentlich alle noch schwach bewurzelten Stämme in meiner Baumschule eine harte Probe zu bestehen hatten. Es sahen auch im März und April die Reiser gar mancher Kirschen- und Birnensorten innen so bräunlich und schwärzlich aus, und zeigten selbst manche Apfelreiser ein so verdächtiges, wäßriges Aussehen, daß ich schon sehr geneigt war, sehr viele Stämme oder ganze Sorten, und namentlich die obgedachten, schwachen Stämme sämmtlich für verloren anzusehen. Dennoch ergibt die in diesen Tagen vorgenommene neue Durchsicht der Baumschule, daß kaum ein paar Dutzend von diesen schwachen Stämmen ganz eingegangen sind; nicht wenige sind in ihrer ganzen Länge sehr gut ausgeschlagen, andere zwar bis gegen die Erde hin erfroren, doch so, daß sie über der Pfropfstelle kräftig wieder ausgeschlagen sind, sei es, daß hier dennoch der Schnee geschützt hatte, sei es, daß überhaupt in dem Stamme näher zur Wurzel hin das Leben und die Saftcirculation kräftiger blieb und dem Froste mehr Widerstand leistete. Einzelne darunter haben noch so zarte, wenn gleich kräftig sich entwickelnde Triebe, daß sie erst gegen Johannis ausgeschlagen sein können, und zeigt überhaupt in dem bessern hiesigen Boden die Baumschule durchweg einen so kräftigen Trieb, daß sehr viele Stämme jetzt, 14 Tage nach Johannis, schon

Anmerkungen (Wikisource)

  1. = −15 bis −18,75 °C
  2. = −22,5 °C
  3. = −27,5 °C
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_420.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)