„Ich kann ohne Sie nicht mehr existieren Anna – – –“. Sie errötet, sie gedeiht, sie lebt auf!
„Ich möchte Sie nur momentan besitzen, geniessen, Anna – – –.“ Sie erbleicht, sie wird zaghaft, sie stirbt ab! Es gibt ober uns, planend, eine segnende, eine verfluchende Kraft der Gesamt-Natur! Der Gesamt-Seele!
Ich lernte eine junge Dame kennen, die ihren Kanarienvogel so
liebte, wie jeder Mann in seinen idealen Träumereien von
seinem vergötterten Geschöpfe geliebt werden
möchte! Es war das Muster-Beispiel einer wirklichen
gegenseitigen Liebe!
Er blickte sie immer an, immer und immer, in Zärtlichkeiten, die das Gefäss Herz zu sprengen drohten! Seine kleinen schwarzen Äuglein schrieen vor Liebe und Zärtlichkeit. Seine Füsschen tanzten, seine Flügel bebten vor Zärtlichkeit. Und die Herrin trank und trank diese unglaubliche Liebe in sich hinein, und wurde stark und froh und zuversichtlich dadurch!
Und dann starb das geliebteste Vögelchen eines tragischen Todes. Die Mutter des Mädchens trat zufällig darauf. Und es war aus! Alles war aus. Irreparabel. Sie lebte seitdem wie eine Absterbende.
„Wenn er mich anblickte mit seinen winzigen schwarzen geliebten Äuglein – – –.
Aber die Augen der Männer haben Wucherer-Blicke, Blicke von geriebenen Geschäftsleuten.
Peter Altenberg: Pròdromos. Berlin 1906, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prodromos_(Altenberg).djvu/065&oldid=- (Version vom 1.8.2018)