Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/213

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Liebe ist nach dem Plato jenes besondere Verlangen nach dem immerwährenden Besitze des Guten, das denjenigen auszeichnet, der mit Hülfe des Schönen etwas zu zeugen sucht, das ihn unsterblich machen könne.

Dieser Satz wird nun näher analysiert: erst auf leibliche Kinder, dann auf Früchte des Geistes, endlich auf Verbindung mit solchen Menschen angewandt, die den Zweck haben, sich wechselseitig zu vervollkommnen, und ein edleres Paar hervorzubringen.

Die Aehnlichkeit zwischen der körperlichen Lüsternheit und dem schwärmerischen Aneignungstriebe der Geister habe ich im dritten Buche dieses Werks gezeigt. Da nun nicht leicht ein Werk des Genies oder eine große That ohne Begeisterung und ohne leidenschaftliche Stimmung hervorgebracht wird: so liegt die Idee ganz nahe, daß sowohl bey der Befriedigung körperlicher Begierden, als bey der Aeußerung des Enthusiasmus, welche Beyde sehr oft Folgen für die Nachwelt hervorbringen, ein Zeugungstrieb, oder wie Plato ihn erklärt, ein Trieb nach Unsterblichkeit zum Grunde liege. Allein genau geprüft, beruht eine solche Analogie auf einer bloßen Operation des Witzes, der zufällige Folgen zweyer Zustände und Handlungen, die einige Aehnlichkeit mit einander haben, aus einer bestimmten Absicht herleitet. Offenbar hat derjenige, der leiblicher Vater wird, bey der Befriedigung seiner körperlichen Triebe eben so wenig den Zweck, Kinder zu zeugen, und sich durch diese unsterblich zu machen, als derjenige, der seine Begeisterung durch Worte und Thaten äußert, unbedingt durch die Betrachtung, daß Beyde auf die Nachwelt übergehen werden, in Enthusiasmus geräth.