Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung | |
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und Christliche Religion verwebt worden war, Vieles zur Bildung der Begriffe über die edlere und schönere Geschlechtsliebe beygetragen hat.
Cicero [1] sagt uns, die Stoiker erlaubten dem Weisen zu lieben, und erklärten die Liebe für den Zug, mit dem der Glanz der Schönheit zur Freundschaft einlade.
Diese Behauptung ist auffallend. Die Stoiker sollen nach andern Zeugnissen die Weisheit für das einzig Schöne in der Welt erklärt haben. Ihre Moral setzte die Tugend und das Glück in den Besitz eines Gemüths, das gleich unempfindlich gegen Vergnügen und Schmerz, frey von allen Leidenschaften, erhoben über Furcht und Schwächen, kein anders Gut als die Tugend, kein anders Uebel als die Reue kennt. Wie paßte, darf man billig fragen, die Liebe, ja, nur einmahl die Freundschaft in dieß System?
Seneca wird uns hierüber die nöthige Aufklärung geben. In seinem neunten Briefe an den Lucil widerlegt er den Epicur, der behauptet hatte, die Stoiker kennten keine Freundschaft, weil sie sich selbst
- ↑ Quaest. Tusc. Libr. IV. Stoici vero et sapientem amaturum esse dicunt, et amorem ipsum, conatum amicitiae faciundae ex pulchritudinis specie definiunt.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.1.djvu/240&oldid=- (Version vom 1.8.2018)