Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/353

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Fünftes Kapitel.
Denkungsart der Sophisten und Grammatiker.

Seit den Zeiten des Septimius Severus bemächtigten sich die Asiaten der griechischen Litteratur, und seit dieser Zeit war der gute Geschmack verloren. Man begnügte sich nicht mehr den Alten nachzuahmen, man plünderte sie, und zierte mit den kostbaren Flicken die man ihnen entrissen hatte, ein Gewand, das eine regellose Phantasie, und ein schwülstiger Witz gewebt hatten. Von jetzt an, verdrängten die Schönredner (Rhetoren oder Sophisten) den Dichter. Mit ihnen vereinigte sich ein pedantisches Heer von Kritikern, Kompilatoren und Kommentatoren der Alten, bekannt unter dem Nahmen der Grammatiker. Beyde bildeten zusammen eine Zunft, die von Raub und Betrug lebte, und zugleich mit der religiösesten Anhänglichkeit an den Sitten und Gebräuchen des Alterthums hing. Eine wahre litterärische Judenschaft in jedem Betracht. Sie plünderten die Alten, sie logen ihnen Werke von ihrer Art an, und sahen den Glanz des Zeitalters des Perikles und Alexanders durch einen eben so dicken Nimbus ungewisser Traditionen, als wodurch der Jude den Flor des Israelitischen Staats unter den Richtern und Maccabäern betrachtet. –

Diese Zunft lebte gleichfalls in einer unsinnlichen Welt, aber es war nicht die der Gegenwart und der Zukunft, sondern die der Vergangenheit. Sie wollten die Sitten der ersten Philosophen und anderer berühmten Männer des Alterthums wieder hergestellt wissen, ob sie diese gleich aus höchst trüben Quellen kannten.