Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/428

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Die gute Sitte in Athen behandelte diese Ausgelassenheit nicht mit Gunst, aber mit Nachsicht. Sie legte Werth auf Ehrbarkeit in diesem Punkte, aber sie sah den Mangel daran nicht mit dem nehmlichen Abscheu wie wir an.

Die Liebe zu den Lieblingen zog ihr Interesse keinesweges aus der leidenschaftlichen Begierde nach Befriedigung dieser Ausgelassenheit, sondern aus dem Ansehen der Heldenfreundschaften, deren Andenken die Mythologie, die frühere Geschichte des Vaterlandes, und die Künste theuer machten; verbunden mit den glücklichen Folgen, welche solche Verbindungen, und der rüstige thätige Enthusiasmus der die Liebenden beseelte, für das Wohl des Staats in Krieg und Frieden haben konnten. Diese wurden dadurch angewöhnet, sich für des Mitbürgers Werth zu begeistern, und sich für fremdes Wohl aufzuopfern: die Grundlage des Patriotismus!

Zufrieden aus solchen Gründen den leidenschaftlichen Charakter der diese Liebe allemahl von Freundschaft unterschied, erklären, und die gröberen Triebe, die mit unterliefen, durch diesen Schleyer bedecken zu können; sah man Schwächen nach, die nicht in zügellose Brutalität ausarteten, und die, durch große Vortheile ausgetilgt, zur Verstärkung des Bundes zwischen ausgezeichneten Bürgern dienten.

Xenophon und Plato suchten diese Art von Atheniensischer Cicisbeatur zu veredeln und zu verschönern. Von beyden wird Sokrates als Beyspiel und Lehrer in diesem Stücke aufgestellt. Nach dem Xenophon, will Sokrates für seine Person an seinem Lieblinge mit einer Zuneigung hängen, die völlig rein vom Zusatze körperlicher Triebe seyn soll.