Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/437

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Christen gelehrte Pflicht, sich vor dem Hülfsbedürftigen und Schwachen zu demüthigen; alles dieß trug zu dem wachsenden Ansehn der Weiber bey.

Die höhere Tugend der damahligen Edlen im Volke verwarf freylich alle leidenschaftliche Anhänglichkeit an einem Weibe, so wie jede weltliche Freude, und ließ die Ehe nur aus Noth zu. Aber sie gestattete doch Freundschaft unter beyden Geschlechtern, und man darf sagen, daß erst in dieser Zeit der Begriff dieses Verhältnisses auf die Verbindung zwischen den beyden Geschlechtern zutraf, die von nun an gleiche Vorzüge an einander anerkannten, und gleiche Lieblingsneigungen mit einander theilten.

Die gemeine Tugend, oder die gute Sitte des wohlerzogenen größern Haufens, behielt inzwischen noch Interesse an der leidenschaftlichen und mit Sinnlichkeit vermischten Liebe. Aber die Denkungsart jener Edlern wirkte doch so viel, daß sie in diese Liebe mehr Achtung für den persönlichen Werth des Weibes und mehr Züchtigkeit brachten. Die Liebe zu den Lieblingen verschwand, und die Ehe ward entweder das Ziel der Liebesverständnisse, oder doch ein Band, worin man gleiche Treue und Beständigkeit von Seiten beyder Gatten erwartete, und mit Interesse bemerkte.

Inzwischen bildete sich diese Denkungsart nicht auf einmahl und allgemein um. Die Zunft der Sophisten und Grammatiker blieb noch lange aus Vorliebe zu den Meisterstücken der alten Litteratur an den Vorstellungen hängen, die sie sich von den Sitten des alten Griechenlands zur Zeit seines Flors, oft nach sehr ungewissen Traditionen bildete. Aber selbst in den Darstellungen,