Seite:Riessler Altjuedisches Schrifttum ausserhalb der Bibel 723.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
5
Denn je schwächer die Mütter

und je häufiger sie Gefahren ausgesetzt sind,
um so mehr lieben sie ihre Kinder.

6
Von allen Müttern aber

liebte die Mutter der Sieben die ihrigen am meisten;
ihr war in sieben Schwangerschaften
die zärtliche Liebe zu ihnen eingepflanzt

7
und durch die vielen Wehen bei jedem

das Mitgefühl zu ihnen geradezu aufgenötigt worden.

8
Und trotzdem achtete sie um der Gottesfurcht willen

nicht auf die zeitliche Rettung ihrer Kinder.

9
Doch nein!

Im Hinblick auf die Tugend der Söhne und ihres treuen Gesetzesgehorsams
war ihre zärtliche Liebe zu ihnen noch größer.

10
Sie waren ja gerecht, mäßig, mannhaft, hochherzig, voll Bruderliebe

und von solcher Liebe zu ihrer Mutter,
daß sie ihr durch Befolgung der Vorschriften bis in den Tod gehorsam waren.

11
Und doch! Obwohl so starke Gründe der Kinderliebe

die Mutter an das Mitgefühl ketteten,
so konnten die allerverschiedensten Martern
ihre Vernunft nicht bei einem einzigen Sohn vom rechten Weg abbringen.

12
Vielmehr ermunterte die Mutter jedes einzelne Kind

und alle zusammen zum Sterben für die Frömmigkeit.

13
O hehre Natur! O Verlockung der Eltern!

O Kinderliebe und Kindeslohn!
Ihr unbezwingbaren Muttertriebe!

14
Die Mutter sah einen Sohn nach dem andern gefoltert und gebrannt;

aber sie wankte nicht, um der Frömmigkeit willen.

15
Sie sah das Fleisch ihrer Kinder in Stücken auf dem Feuer vergehen,

Zehen und Finger auf der Erde zucken
und die Fleischteile der Köpfe bis zum Kinn wie Masken daliegen.

16
O Mutter! Wie viel bitterer als die Geburtswehen

sind die Schmerzen, wodurch du jetzt versucht wurdest!

17
O Weib!

Du einzige, die der Welt vollkommene Frömmigkeit geboren hat!

18
Nicht brachte dich vom rechten Pfad der Erstgeborene ab,

als er den Geist aufgab,
nicht der Zweite, als er in seinen Qualen dich, Ärmste erblickte,
nicht der Dritte, als er seine Seele aushauchte.

19
Du sahest eines jeden Augen

in den Qualen stieren Blicks auf seine Folterung starren
und seine Nüstern des Todes Nähe anzeigen –
du weintest nicht.

20
Du sahst,

wie das Fleisch deiner Kinder nacheinander in Stücke gerissen ward,
sahst, wie ihnen Hand um Hand abgeschnitten,
Kopf um Kopf abgehauen und Leiche auf Leiche geworfen wurde,
sahst den Ort, wo deine Kinder standen