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Ein Traum.

Erzählung von Marko Wowtschok.

I.

Wir waren drei Töchter und ich davon die älteste. Und unser Vater, der war streng! Du lieber Gott! Kaum daß er uns einmal im Jahre die Erlaubnis gab, mit den Mädchen auf der Straße zu verweilen. „Leichtfertig ist das Weibsvolk,“ sagt er, „immerfort möcht’ es sich nur ergötzen, belustigen, tanzen und plappern wie die Elstern!“

„Und hast du dich in deiner Jugend nicht auch belustigt, Iwan?“ fragt die Mutter.

„Bin, Gott sei’s gedankt, nie in meinem Leben dumm gewesen!“

Wenngleich der Vater streng war, liebte er uns dennoch innig. Mitunter wenn er nach Kiew fährt, bringt er uns die schönsten Geschenke: der Mutter eine Haube, gestickt mit Seide, einen roten Rock oder bunte Bänder; mir kostbare Perlen oder einen roten Gürtel, den allerschönsten, den er bekommt, und den jüngeren Schwestern auch Perlen oder Ohrgehänge. Kehrt er auch früh von seiner Reise zurück – die Geschenke verteilt er doch erst am zweiten oder am dritten Tage. Wir schauen ihm in die Augen, machen uns um ihn[WS 1] zu schaffen, er aber tut, als verstehe er uns nicht! Er erzählt, wie er sich mit der Trödlerin gezankt, oder sonst etwas Gleichgiltiges. Aber dann, wenn er die Geschenke auspackt und sie unter uns verteilt, welche Freude gibt’s da, Herr Gott! „Väterchen, Täubchen, ach da unser teures Väterchen!“ nennen wir ihn dann. „Nun, nun, schon genug, schon genug! was seid Ihr so außer Euch wie die Bienen? Kaum zu bändigen? Vielleicht seid Ihr der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ihm
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: Ruthenische Revue, Jahrgang 2.1904. Verlag der Ruthenischen Revue, Wien 1904, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:RuthenischeRevue1904SelectedPages.pdf/105&oldid=- (Version vom 10.9.2022)