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DONNA ISABELLA.
(Die Braut von Messina.)


Alle Kunst soll eine nationale sein, ihre Werke müssen den Sitten und Vorstellungen, dem Charakter des Volks, aus dem sie hervorgehen, entsprechen, ihn in seiner Individualität, wenn auch noch so veredelt in Form und Inhalt, widerspiegeln, wenn sie die volle Wirkung haben, Gemeingut dieses Volkes werden sollen. Von diesem Erfahrungssatze ausgehend, wird man leicht erklären können, warum die „Braut von Messina“ unter allen Schiller’schen Stücken trotz der wunderbaren Schönheit ihrer Diction, trotz der aufs höchste gesteigerten Würde und Erhabenheit des Gedankengehalts, sich doch bei uns fast am wenigsten wirksam erwiesen und eingebürgert hat. Es ist das Fremdartige der Form wie des Ideengangs, was einem dies Stück immer als eine mehr oder minder doch exotische Pflanze erscheinen lässt. Wenn man sich heute über den Weg, den Schiller in demselben eingeschlagen, mit Recht wundert, so darf man doch nicht vergessen, dass er und Goethe bei ihrem Auftreten weder in der Nation eine fertige Bildung, einen festgestellten Geschmack, noch ein irgend der Rede werthes Repertoire antrafen, wenn man die paar Stücke Lessing’s abrechnet. Sie waren also auf Versuche angewiesen, als sie beides schufen, und gingen daher bekanntlich von der Nachahmung Shakspeare’s allmählich zu der der griechischen Tragödie über, ein Weg, den wol jeder Gebildete einmal durchmacht, um dann wieder zu jenem zurückzukehren.

Die grösste der Neuerungen und die gewagteste, die Schiller in der „Braut von Messina“ versucht, war die Einführung des moralisirenden Chors, als einer Art personificirter öffentlicher Meinung;

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/306&oldid=- (Version vom 1.8.2018)