Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/138

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

jede ernste Beschäftigung waren ihm ein Greuel. Natürlich geriet er auf diesem Wege immer tiefer in Schul­den; das mochte andern Sorge bereiten; ihn focht es wenig an. Stellten sich Verlegenheiten ein, die selbstverständlich nicht ausbleiben konnten, so beschäftigte ihn einzig die Frage: „Wie und wo ließe sich was flüssig machen?“ Das geschah auch in der Woche, die der erwähnten Jagd vorausging. An seinen Nachbar Herbertson durfte er sich am wenigsten wenden. „Nur dieses nicht, lieber Kagel, nur dieses nicht!“ war dessen stereotype Antwort, und dabei wurde sein S so scharf, — er war Ehstländer — und sein Diskant so schneidend hoch, daß alle Hoffnung aufgegeben werden mußte. Und zugleich wußte der Alte eine Miene anzunehmen, als sei kein roter Groschen bei ihm aufzutreiben. An seine größern Nachbarn wagte Kagel sich nicht mehr. Jeder von ihnen wußte, wieviel auf sein Wort zu geben war, und ging natürlich Unannehmlichkeiten möglichst aus dem Wege. Seine gutmütige Frau hatte ihm bereits alles, was sie ihr eigen nennen konnte, in die Hände gegeben und hatte mit ihrer kleinen Wirtschaft in Haus und Küche soviel zu schaf­fen, daß sie sich kaum um den Kassenbestand ihres Mannes kümmerte. Schwägerin Alma bewachte ihren kleinen Rest mit Zähigkeit. Kurz, der alte Göttinger war für den Augenblick entschieden „in Schwulibus.“ Sein Getreide war bis auf einen unbedeutenden Rest schon verkauft und ab­geliefert; der Erlös reichte eben hin, alte angelaufene Schulden zu decken und die ärgsten Schreier zum Schwei­gen zu bringen, seine Mastochsen waren eingestellt, aber noch nicht fertig. Wo Geld hernehmen? Die Einladungen zur Jagd waren schon ergangen, die Elenne, deren es da­mals noch ziemlich viele gab, eingekreist, zwanzig bis fünf­undzwanzig Herren sollten nach vier Tagen in Pluhmingen sich versammeln, — und kein Geld!

Empfohlene Zitierweise:
Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/138&oldid=- (Version vom 21.9.2022)