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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

„Gewiß; aber wenn wir nicht das Prinzip der Ge­sittung diesen teils unmündigen, teils verwilderten Massen gegenüber zur Geltung bringen sollen, wer dann? Wozu sind wir denn da? Freilich werden wir vielfach mehr auf das kommende Geschlecht, als auf eine durchgehende Besse­rung des alten zu rechnen haben. Die Schulen werden das Beste thun müssen.“

„Hahn schwärmt wieder,“ fiel einer halblaut dazwischen.

„Mit diesen Narrheiten kann er mich geradezu nervös machen,“ bemerkte ein andrer.

Der Diener Joseph trat ins Zimmer und meldete, an Herrn v. Hahn gewendet: „Herr Baron, Ihr Kammer­diener ist da.“

„So?“ sagte Hahn verwundert. „Was ist denn da passiert? Laß ihn hereinkommen.“

Der Diener kam in sichtbarer Aufregung und berichtete: „Es ist ein großes Unglück bei uns geschehen. Die gnädige Frau hat mich hergeschickt. Wie der gnädige Herr weiß, hat der Kutscher den Stall verschlossen. Der Stallknecht geht also heute mittags, wie abends durch die Treppe, die vom Heuboden kommt, in den Stall. Er kommt zu Ihrem Reitpferd, dem Braunen. Der steht nicht, sondern liegt. Das fällt ihm schon auf. Er ruft ihm zu, er giebt ihm einen Stoß, damit er aufstehe. Aber das Pferd kommt nicht auf die Füße. Er nimmt die Laterne und besieht es näher. Das arme Tier schwimmt in Blut, – ein großer Stich mit einem Messer grad in den Leib ist da zu sehen, aus welchem das Blut nur so strömt. Der Stall wurde von innen geöffnet, Leute kamen zusammen; der Müller Zülp machte auch eine Bandage fertig, um das Blut zu stillen. Auch haben wir nach dem alten Vieharzt Rose geschickt, aber wer weiß, wie es geht. Das Pferd ist sehr schwach. Das Unglück muß schon vor einigen Stunden

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/158&oldid=- (Version vom 22.9.2022)