Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/212

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Anstrengungen nicht zu groß für ihn wären. Das Ver­trauen, das ihm von dem Pastor des Ortes und von dem wegen seiner gläubigen Richtung und seines Lebensernstes bekannten Fürsten gezollt wurde, war ohnehin die beste Empfehlung. Darauf hin setzte sich unser lieber Vater mit dem Herrn von Klein in Verbindung, konnte aber dabei ein gewisses Unbehagen nicht los werden. „Weißt du, Dorchen,“ sagte er zu der Mutter, „der Mann gefällt mir durchaus nicht. Er hat lange Knochen[1] solche Menschen sind faul.“ — „Aber, Friedrich, er ist dir doch so sehr empfohlen worden?“ hieß es. — „Mag sein; ich spreche nur von dem ersten Eindruck, den ich nicht los werden kann.“ —

Herr von Klein aber konnte sich nicht sofort entschei­den; er müsse, hieß es, erst das Haus, die Knaben, die Aufgabe selbst näher ins Auge fassen, und wollte zu die­sem Zwecke persönlich nach Wahnen herüberkommen. Er erschien denn auch. Lang, dürr, bleich, mit dunklem hoch aufgerichtetem Haar, eingefallner Brust, in dem blauen Frack mit blanken Knöpfen, wie ihn nur die Oberlehrer der Gymnasien zu tragen berechtigt waren, ernst, wie einer, der mit der Welt abgeschlossen hat und sich an den Thoren der Ewigkeit weiß. Wir Jungen sahen uns den zukünfti­gen Mentor mit Staunen und geheimem Grauen an, — aber, — daß ich’s nur gleich gestehe, wir bemerkten auch, daß seine dunkelgraue Hose unten einen nur schlecht zu­genähten Riß hatte, daß er wenig aufsah, — ja er erschien uns originell genug, um ihn bald darauf mit seiner ge­bückten Haltung und seinem hektischen Ausdruck sehr erkenn­bar, wenn auch etwas karrikiert, aufs Papier zu bringen. Die fromme Rede floß ihm vom Munde; er wußte in die

  1. Der Vater meinte seine gestreckten, schlaffen Bewegungen, die ihm zugleich ein Zeichen innerer Schlaffheit waren.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/212&oldid=- (Version vom 18.9.2022)