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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

auch die mancherlei Schwächen nicht verschweigen, die mei­nen Vorfahren angehaftet haben; jedenfalls muß ich aber die Versicherung geben, daß die erwähnte Nachahmung väterlicher Amtsthätigkeit ohne Arg gestattet und ohne Arg geübt wurde.

Heute war nun ein Tag, der ganz besonders zu einem solchen Fest geeignet schien; denn gestern war bei einer Knechtsfamilie auf dem Pastoratshofe Kindtaufe gewesen; Binchen aber hatte nicht bloß der Taufhandlung wie sonst zugesehen, sondern auch alle Zubereitungen zum Taufschmaus, das Kuchen- und Brotbacken u. s. w. mit der ganzen Neugier einer zukünftigen Hausfrau verfolgt. Heute waren zufällig Vater und Mutter gegen Abend ausgefahren und auch die böse Tante zu den Nachbarn gegangen, glücklicherweise nicht ohne Binchen durch die übliche Sonntagsgabe an Zwieback, Syrup und Rosinen erfreut zu haben, welche zur Anfertigung der Puppenmahlzeiten unerläßlich waren. So waren denn auch alle Kuchen gebacken, die Tische gedeckt, die Kinder zur Taufe angezogen. Johannchen, voll Würde in Mutters schwarzer Schürze und einem improvisierten Bäffchen, stand zur Handlung bereit, – als Binchen traurig bemerkte: „Aber wir haben keine Paten; ohne Paten kann man nicht taufen.“

Und hier war wirklich guter Rat teuer; wohl gab’s zwei kleinere Schwestern in der nahen Kinderstube, auch hätte die eine zur Not wohl stehen können, wenn es überhaupt nur möglich gewesen wäre, sie zum Stillstehen zu bewegen. Leider war dafür wenig Aussicht vorhanden. „Sie ist so dumm!“ sagte Binchen verdrießlich und gab diesen Plan als unausführbar auf. Von dem andern Schwesterchen, das noch in der Wiege lag, konnte vollends nicht die Rede sein.

Da wirft Binchen zufällig ihre Augen auf zwei schwarze,

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/61&oldid=- (Version vom 14.12.2022)