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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland



4. Lauter Scheiden




Über diese schöne, sonnige Kindheitszeit zog ein dunkler, thränenreicher Tag herauf. Es war des Vaters letzte Krank­heit, des Vaters Tod. War auch Johannchen noch nicht alt genug, um die ganze Größe des Verlustes und die weit­greifenden Folgen desselben vollständig zu übersehen, sein weiches Kinderherz fühlte ihn gleichwohl tief genug, und das stille, verödete Haus, die weinende Mutter gaben ihm eine Ahnung davon, wie vieles anders geworden war, seit­dem der Vater die Augen geschlossen hatte. Aber das war noch nicht das Ende der Kümmernisse, die ihn treffen soll­ten. Die Stunde kam, wo er das Elternhaus verlassen mußte. Sein Unterricht durfte nicht unterbrochen werden, anderseits war es der verwitweten Propstin unter den völlig veränderten Verhältnissen ganz unmöglich, den Sohn weiter im Hause unterrichten zu lassen, ja überhaupt nur ihre Kleinen alle bei sich zu behalten. Unter solchen Umständen war das Anerbieten des Barons Schr. in U., ihren Sohn mit dem seinen von einem „Hofmeister“ erziehen zu lassen, zu vorteilhaft, als daß sie es hätte von der Hand weisen dürfen. Und doch war der Tag so schwer, so schwer, wo sie mit ihrem Sohn nach U. fuhr, um ihn seinen neuen Pflegern anzuvertrauen! Wer mochte es ihr verargen, wenn sie ihr Kind beim Abschied so inbrünstig umarmte, als ob das Herz ihr bräche, wenn ihre Thränen unaufhaltsam

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/66&oldid=- (Version vom 21.9.2022)