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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland

Wort schlug er für den Tag noch einen Besuch bei den lieben Nachbarn vor, und alles war wieder im richtigen Geleis.

Man muß aber nur ja nicht denken, daß unser Binchen als „Frau Instanzsekretärin“ den Pflichten einer Haus­frau überhaupt nur widerwillig entgegengekommen sei. Sie wußte sehr gut, welches der beste Weg zum Herzen des Mannes ist, und achtete auf jeden seiner Wünsche. Freilich kam ihr, die auf dem Lande erwachsen war, wo Stall und Feld fast alles liefern, was man zum Leben nötig hat, ohne daß es jedesmal des bedürfte, den Beutel zu öffnen, das Haushalten in der Stadt mit dem täglichen Geld­ausgeben etwas fremd, ja fast wie Verschwendung vor, und als sie einmal, von solchen Gedanken fortgerissen, dem Fleischermeister den Vorschlag machte, ihm das Fleisch laut Taxe zu bezahlen, aber die Knochen, die dabei waren, nicht, – so war’s freilich ein gutgemeinter Anlauf zu weiser Ökonomie, – der aber dem guten Meister nur ein verwundertes Lächeln und bescheidenen Protest abgewann, da ihm dergleichen in seiner Praxis noch nicht vorgekommen war. Doch dergleichen Lebhaftigkeiten schleifen sich allmäh­lich ab und man findet sich nach und nach in seine Verhältnisse. So war’s auch hier. Alles ging gut; sie füllte ihren Platz mit Ehren aus, und wenn sie später auf die siebzehn Jahre ihres Ehestandes zurückblickte, so stand sie nicht an, zu sagen, sie seien die glücklichsten ihres Lebens gewesen. Gewiß war das aus ihrem Herzen gesprochen und um so tiefer empfunden, als die Tage der Heim­suchung bald genug über sie hereinbrachen. Ihrer sei gleich an dieser Stelle gedacht. Ihr einziger, nur allzu heiß geliebter Sohn, obschon er aus dem damaligen Gymnasium academicum zu Mitau bis zum Titel eines Notarius publicus gediehen war, ergab sich dem Nichtsthun und brachte nur Gram und Thränen über die arme Mutter, die selbst

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Paul Seeberg: Aus alten Zeiten : Lebensbilder aus Kurland. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1885, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SeebergAusAltenZeiten.pdf/83&oldid=- (Version vom 14.9.2022)