Seite:Sponsel Grünes Gewölbe Band 2.pdf/332

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

das hl. Römische Reich deutscher Nation aufgefaßt und in der großen hintermalten Wappenscheibe aller seiner um den Crucifixus gescharten Glieder über dem Kranzgesims vorgestellt. Die von ihm überwundenen Königreiche der Erde sind dargestellt in den ovalen Wappenschildern der beiden das Spiegelfeld einfassenden Gesimse. Auf das Traumgesicht Daniels wird anscheinend Bezug genommen in der Gruppe unter dem Gurtgesims (Daniel Kap. 7, 24. 25), wo es heißt, vor dem Gericht werde noch ein anderer Herrscher kommen „Er wird den Höchsten lästern und die Heiligen des Höchsten verstören und wird sich unterstehen, Zeit und Gesetz zu ändern.“ Die Szene des Spiegeldeckels scheint dann das Gericht über diesen vorzustellen (den Antichrist) (nach Kap. 7, 26). Unter der von ihm gefesselten Erde und veränderten Zeit ist er zu Boden geworfen, durch die Beischrift mendacia als der Lästerer des Höchsten bezeichnet. In den Wolken des Himmels verkündet ein Engel die Wahrheit, wohl im Anschluß an die Worte Nebukadnezars (Dan. 4, 34) von dem König des Himmels „all sein Thun ist Wahrheit“.

Ungleich wichtiger, als durch ihren Gedankeninhalt, ist die Ausstattung des Spiegelrahmens durch ihre formale für das Ende des 16. Jahrhunderts bezeichnende Gestaltung und deren technische Vollendung. In der Häufung figuraler und ornamentaler Motive auf allen Gliedern der Umrahmung kennt die Erfindung keine Grenzen. In der Ausführung geht die Treibarbeit des Reliefs über in freigebildete vorstehende Körperglieder, so in den beiden die große Scheibe des Aufbaues flankierenden reitenden Kriegern. Andere Gestalten bleiben in hohler Treibarbeit verbunden mit dem Silberblech des Rahmens und seiner ornamentalen Treibarbeit, so der das Ganze krönende Kriegsgott Mars, die beiden Posaunenengel darunter, die auf den Schneckenendigungen des Kranzgesimses sitzenden antiken Halbfiguren und die beiden größeren sitzenden antiken Krieger über den größeren Schneckenenden des Gurtgesimses. In reliefmäßiger Treibarbeit vorgesetzt ist die Gruppe der Viktoria mit den liegenden beiden Feinden auf der im Bogen vorspringenden Deckplatte des Kranzgesimses. Vollrund gegossen sind die Figuren des gefesselten Staates und des Parisurteils.

Das allenthalben verwendete getriebene Rollwerk und Schweifwerk ist vereinigt mit Festons, Fruchtbündeln, Trophäen, Büsten und Köpfen, darunter besonders bemerkenswert die Büsten an den Seiten der oberen Zone des Gehänges und die der Voluten unter den beiden Säulen und die ins Profil gestellten Tierköpfe der Spitze und der beiden Schnecken der Gesimse. Die reiche Treibarbeit ist außerdem noch farbig belebt durch geschliffene Glasflüsse und Granaten, die an den Hauptstellen in Kastenfassungen aufgesetzt sind. Zu den schon aufgeführten Scheiben mit Hinterglasmalerei kommen noch zwei runde solche Scheiben unter den beiden Reitern des Aufbaues und zwei rechteckige unter den beiden in den Nischen stehenden Kriegern, die die vier antiken Monarchien versinnlichen. Auf diesen sind dargestellt mit Hinweis auf Daniel Kap. 7 die vier auf die vier Monarchien gedeuteten Tiere des Traumgesichts Daniels. In Beischriften werden ihre Herrscher genannt: Nimrodt, Cyrus, Alexander, Julius Caesar. Als Bereicherung der Architektur sind auf dem Kranzgesims seitlich der großen Scheibe und auf dem Gurtgesims seitlich der Nischen je zwei Obelisken aufgestellt.

Dem Rahmen des Spiegels und seinem Deckel fehlen die vorgeschriebenen Marken, daraus ist zu schließen, daß ihr Hersteller, als in fürstlichen Diensten stehend, den Zunftbestimmungen nicht unterworfen war. Die Vollendung der Arbeit wird bestimmt durch die am Schluß der Inschrift auf der Rückseite des Deckels stehende Jahreszahl 1592. Dieser Schluß lautet: „Hilf Du heilige Dreifaltigkeit“, und war der Wahlspruch der Kurfürstin Sophie, der Witwe des Kurfürsten Christian I., gest. 1591. Daß aber die Anfertigung noch zu Lebzeiten des Kurfürsten begonnen wurde, bezeugt die Überschrift des unter den kleinen ovalen hinter Glas gemalten Wappen der Königreiche befindlichen Wappens von Deutschland (in der oberen Reihe das zweite von links): Anno–1587/Germania. Es hat also wohl schon Kurfürst Christian I. den Spiegel für seine Gemahlin bestellt, der dann erst nach seinem Tod abgeliefert wurde. Nach dem Inventar der Kunstkammer von 1610 wurde der Spiegel von einem Lüneburger erkauft. Der Name seines Meisters war also nicht mehr bekannt. Die Angabe der Herkunft des Lieferers kann sowohl auf die Stadt wie auf das Herzogtum Lüneburg gedeutet werden. Ebenso läßt diese unbestimmt, ob als Verkäufer ein Silberschmied oder ein Händler gemeint war. In der Würdigung des Inhalts des 2. Bandes werden die Gründe geltend gemacht, die dafür sprechen, daß als der Verfertiger des Spiegels der Warburger Meister Anton Eisenhoit zu erkennen ist, (1544 bis nach 1603.) (115 : 85 – IV, 110.)