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sich und mit demselben eine Landschaft, wie sie Ruisdael selten schöner in seinen Phantasien gesehen hatte.

Von dicken Bäumen an einem Ufer geziert rieselte ein seichter Bach über ein kleines Wehr. Drüber hinaus zeigte sich ein freier, sonniger Platz, von einer herrlichen Baumgruppe verschönert. Seitwärts an diesem Platze stieg ein gewaltiger ruinenhafter Thurm ohne Dach hoch empor; neben ihm war eine zerbrochene, cyklopische Mauer, den Grundriß eines ehemaligen festen Gebäudes andeutend. Hinter dem Thurme erhoben sich die neuen Gebäude eines Klosters mit ihrem schlanken Thürmchen, und dicht neben dem letzteren erhob ein waldumkränzter, stellenweise kahler Fels seine Mauern in die Lüfte und schloß das Bild. Zur Rechten, halb im Gehölz versteckt war das Dorf, aus welchem man den Waldbewohner vertrieben hatte.

Und die Staffage war nicht minder schön. Vorn im Bache wateten vier fette Klosterkühe und zwei Männer fischten mit kleinen Hamen für die Mönche herrliche Forellen. Weiter entfernt ritt der Hirtenjunge einen Esel im Bache umher, und vor dem alten Kloster standen zwei Mönche, die Hände in die Aermel gesteckt und unterhielten sich in faulster Beschaulichkeit, während neben der großen Pforte des Thurmes ein Dritter an der Mauer lehnte und sich sonnte.

– Beim Apollo! rief Ruisdael bezaubert. Ich bin dennoch glücklich und ich danke Dir Bärenbeißer, daß Du mich gestern Abend anhalten mußtest. Dies wird ein Bild, welches sicherlich für tausend Gulden nicht feil sein wird.

Und rasch ließ er sich am Rande des Baches nieder und begann zu zeichnen, indeß der Tyrann mit seiner Flinte sich hinter einem Felsenstücke verbarg. Es dauerte keine Minute, da kamen die Mönche an, hoben die Kutten auf und wateten durch’s Wasser und beschauten die Arbeit des Zeichners.

– Das ist Ruisdael! rief ein Klosterbruder. Wir haben eines Deiner Bilder im Refectorio. Du bist bei uns eingeladen.

– Dank! Ich nehme die Einladung an unter der Bedingung, daß Ihr mir auf der Stelle tausend Gulden leiht.

– Zugeschlagen! rief der herbeieilende Abt; wenn wir uns damit das Recht auf Euer Bild unsers Klosters erkauft haben. Wir werden Euch gut bezahlen.

In zehn Minuten hatte sich Ruisdael von seinem Manne losgekauft.

– Siehst Du, daß ein Maler nicht lügt? rief er dem Elenden zu. Und daß es keiner Flinte bedarf, um Jakob Ruisdael zu einer barmherzigen Handlung zu bewegen?



Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/304&oldid=- (Version vom 1.8.2018)