Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/415

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Danaë und der goldene Regen.
Von Anton van Dyck.

An einem höchst unfreundlichen Novemberabende im Jahre 1639 rollte eines der schweren, goldverzierten, mit vier Pferden bespannten Fuhrwerke, wie sie der Hof und der hohe Adel besaß, die schlechten Straßen vom Witehall-Palaste entlang dem Herzen von London zu. Jetzt stirbt in diesem Stadtquartiere das Leben des Londoner, um fünf Uhr Nachmittags beginnenden Tages, schwerlich vor zwei Uhr Nachts. Damals aber, als selbst die ersten Classen der Gesellschaft höchstens drei Stunden mit dem Beginn ihres Tages hinter der Sonne zurückzubleiben pflegten, war es um 12 Uhr – und diese Stunde hatte eben die Glocke St. Paul’s, von einigen Hundert andern Glockenschlägen accompagnirt, geschlagen – in London still, öde und wirklich Nacht. Nur mit Mißvergnügen hörte der Bürger, wohl zugedeckt im Bette befindlich, wenn der rasche, klappernde Hufschlag von Rossen, die den „Königstrab“ gingen, zu Mitternacht durch die Straßen hallte; wenn die Fenster seines Hauses bebten und klirrten von dem Rasseln einer der Kutschen, welche nach dem Modell der Arche Noah’s gebaut zu sein schienen.

Das waren Lords und Ladies vom Hofe des zwar ritterlichen, aber vergnügungssüchtigen und verschwenderischen Karls I., welche sich bestrebt hatten, das Mark von Alt-England zu verprassen. Der Herrenkutsche folgten auf ihrem einsamen Wege sicherlich mehr Flüche und stille Verwünschungen, als sie Straßen durchrollte. Ihre Insassen waren bereits vom Volke heimlich gerichtet, bevor sie noch eine Ahnung davon besaßen, auf welchem Vulkane sie ihre bezaubernden nächtlichen Feste feierten.

Sicherlich aber verdiente derjenige, welcher heute Nacht, einem Herzoge oder einem Fürsten gleich, über St. Martins Lane und Long Acre nach Lincolns Inn Fields fuhr, keinen der Vorwürfe, welchen die Engländer ihrem Könige und seiner Ritterschaft mit schwerem Gewicht auf die Schultern legten. Dieser Mann war ein Arbeiter, wie der fleißige Bürger; er glänzte nicht durch den erpreßten Schweiß seiner Untergebenen, sondern sein fürstlicher Aufwand war von dem von ihm ehrlich „verdienten“ Gelde bezahlt. Er führte weder Herzogs- noch Adelswappen, auf welches er seine Hoffähigkeit hätte gründen können. Sein Genie und seine Kunst allein hatten ihn zum Freunde „der Könige“ gemacht und ihm die für jeden Mann niederer Herkunft mit ehernen Banden verschlossenen Säle des Herrschers von England und der Großen des Reichs geöffnet.

Anton van Dyck, der niederländische Maler war es, welcher zu so später Stunde durch London fuhr. Er kam vom König in Witehall und wollte, bevor er in seinem palastähnlichen Gebäude in Black Fryars sich zur Ruhe begab, zuvor noch eine jener Gesellschaften des deutschen Grafen von Aremberg besuchen, in welchen sich die ausgezeichnetsten Männer und Frauen der Hauptstadt Rendezvous’ zu geben pflegten.

Lincolns Inn Fields war damals und auch später für viele große Herren, namentlich Staatsmänner, ein beliebter Wohnort. In der Umgebung Lincolns Inn, Chancery Lane,

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/415&oldid=- (Version vom 1.8.2018)