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Venetia. Sie kam ihm selbst auf dem Corridor des ersten Stockes entgegen, noch vollkommen angezogen. Augenscheinlich war sie keine fünf Minuten zu Hause gewesen.

– Milady! stammelte van Dyck. Ich rufe Ihren Beistand für einen unglücklichen Freund an, der in dieser Minute von London fliehen muß. Mein schlimmes Glück heute Abend kennen Sie, ich bitte Sie um ein Darlehn von hundert oder zweihundert Guinees.

Und darauf gestand er der Dame, warum es sich heute Nacht handele.

Die Dame kam augenblicklich aus ihrer vornehmen Nachlässigkeit zu einer feurigen Energie.

– Auch ich, mein Herr, bin von diesem Geldwolfe, von Lord Edgefield total ausgeplündert! sagte sie. Es wird aber dennoch leicht Rath werden. Tom! rief sie dem Diener zu, ist Mylord zu Hause?

– Nein; ist gestern Morgen zur Fuchsjagd abgereiset! antwortete dieser.

– Wo ist der Haushofmeister?

Der Geforderte, gerade ein Haushofmeister wie ihn Hogarth in seiner Manage à la Mode zeichnete, ein geiziger, felsenehrlicher Murrkopf, erschien.

– Zweihundert Guinees! sagte Lady Venetia kurz.

– Von mir? erwiederte Mr. Leakes sehr ruhig.

Die Dame maß den Alten mit einem flammenden Blicke. Er machte unwillkürlich eine Verbeugung, sagte aber dann flüsternd:

– Milady, ich bin unendlich betrübt, aber ich habe gemessenen Befehl. Ich glaube, Sie werden mir meine Pflicht nicht schwerer machen . . . Aber, Seine Herrlichkeit, Mylord Henry Digby, haben mir verboten, Ihnen, gnädige Frau, außer den hundert Pfunden, die Sie gestern Morgen erhielten, bis zu Mylords Rückkehr auch nur einen Halfpenny auszuzahlen. Haben Sie weitere Befehle, so stehe ich zu Diensten.

Lady Venetia wandte sich erbost und indignirt ab. Sie war völlig erstarrt. Plötzlich schien ihr ein Gedanke zu kommen.

– Folgen Sie mir, Meister! sagte sie lebhaft. Sie werden Geld haben; denn ich erinnere mich, daß Sie mich vorhin zur Danaë machten.

Van Dyck blieb im Vorzimmer. Die Dame eilte in ihr Cabinet und ließ sich rasch auskleiden. Die Schnürbrust nur hielt noch die Goldstücke.

– Einen Augenblick, Elise! rief Lady Venetia. Wir haben keine Secunde zu verlieren. Bliebe ich stehen, so würden die Guinees im ganzen Zimmer umher rollen und wir müßten suchen.

– Guinees? fragte die Alte erstaunt.

– Ja doch!

Damit warf sich die Dame auf ihr prachtvolles Sofa und ließ sich in dieser Lage entkleiden. Die alte Elise raffte das Geld zusammen, um solches, dem Befehle Venetia’s gemäß, dem Maler zu überbringen. Wußte die Dienerin nicht, daß van Dyck in dem Vorzimmer harrte, oder war die Dienerin über der eigenthümlichen Scene verwirrt geworden – genug, sie öffnete eine Seitenthür des Cabinets, welche gleich der Flügelthür ebenfalls ins Vorzimmer ging, und gab auf diese Weise dem harrenden Maler einen vollen Anblick der Schönheit ihrer Gebieterin.

Van Dyck faßte sich bald, nahm das Geld und schied. Fiamingo ward gerettet. Er

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/423&oldid=- (Version vom 1.8.2018)