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geistlosen Nachahmern, sondern in wenigen großen Zügen seinen Stoff vollkommen zu erschöpfen weiß.




Der Gelehrte.
Von Franz von Mieris.

Noch völlig unter dem Einflusse seines großen Lehrers Gerhard Dow stehend, malte Franz van Mieris das Bild des Scholastikers, eine seiner frühesten selbständigen Arbeiten. In dem Mauerfenster, ganz in Dow’scher Manier mit einem zur Seite geschobenen Vorhange geziert, sitzt an einem, mit einem reichen Teppich behangenen Tische, ein bärtiger alter Mann vor einem aufgeschlagenen Buche und schneidet mit großer Aufmerksamkeit eine Feder. Der Gelehrte im Barett und mit dem Doctortalar bekleidet, ist sehr sicher und geistreich gezeichnet und sein Kopf ist von ungemeiner, charakteristischer Wahrheit, die Beleuchtung ist vorzüglich und die Malerei zeugt von dem ungewöhnlichsten Fleiße. Dennoch dürfte dieser Scholastiker mit dem Bilde des Schreibmeisters von Dow, welcher ebenfalls sich eine Feder schneidet, an frappantem Leben den Vergleich nicht aushalten.




Die Spinnerin.
Von Kaspar Netscher.

Soll dieses so oft bewunderte Gemälde mit der Nähterin desselben Meisters verglichen werden, so wird die „Spinnerin“ durch eine ganz sprechende Lebendigkeit der Darstellung und durch die unvergleichlichste Wahrheit in Blick, Miene und Haltung jedenfalls als das ausgezeichnetere Stück gelten müssen. Das Bild stammt aus der vollsten Blüthenzeit Netschers und zeigt noch eine Kräftigkeit und einen präcisen Ausdruck, wie sie der Meister später, bei seinen oft süßlichen Conversationsstücken, seltener und immer seltener zeigte. Auch hat die Spinnerin eine Färbung, welche, mit einem durchsichtigen Schmelz ausgestattet, diejenigen der Gemälde aus seiner letzten Zeit weit übertrifft und den Beschauer unwillkürlich an die wunderbare Sauberkeit und Klarheit des Terburgschen Colorits erinnert. Interessant dürfte es, beiläufig gesagt, sein, das Spinnrad genauer zu betrachten, welches in seiner eigenthümlichen Form, wie man im Blicke der Alten unschwer lesen kann, damals noch mehr als heute der Stolz einer Hausfrau vom reinsten Wasser war. Die sehr schwierige Ausgabe, zubereiteten Flachs getreu wiederzugeben, hat Netscher, welcher Stoffe mit entschiedenster Virtuosität behandelte, spielend gelöst.



Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/787&oldid=- (Version vom 1.8.2018)