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ward seine erwachte Leidenschaft durch diesen etwas verdächtigen Anfang nicht erschüttert oder abgekühlt, sie steigerte sich gegentheils noch mehr.

Endlich ward’s still im Hause. Er hörte es von den Thürmen die eilfte Stunde schlagen . . . Mieris fing jetzt an, Recognoscirungen zu machen, um die Gemächer Julia’s aufzufinden.

Plötzlich stand er aufhorchend still. Die melodiösen, sanften Töne eines Clavecins erklangen von dem einen Flügel des Hauses her in ernsten, religiösen Weisen. Das mußte Julia van der Werff sein, welche klagend ihre Empfindungen ausströmen ließ. Franz van Mieris lauschte vor der Thür – dann griff er entschlossen an das Thürschloß, öffnete und trat ziemlich großartig in das Gemach.

Er prallte zurück: der alte Cornelius selbst spielte eigenhändig, phlegmatisch zurück gelehnt. Die Augen ließ er sehr ruhig in dem weiten Gemache hin und her gleiten, in welchem seine Gemälde und Kunstschätze aufgestellt waren. Mit großem Erstaunen sah van der Werff den verblüfften Maler an der Thür stehen und erhob sich, um ziemlich verwirrt den unerwarteten Gast zu empfangen.

Mieris faßte sich. Er sagte dem Alten, daß er, von einer plötzlichen Idee ergriffen, die Statue eines Gladiators mit dem Diskus, von dem Italiener Lorenzo Ghisberto gegossen, zu copiren beabsichtige, und wußte geschickt den Grund anzugeben, warum er nicht früher sich gemeldet, sondern im Hause umhergetappt habe.

Cornelius van der Werff war, da er an seiner schwachen Seite gefaßt war, sogleich besänftigt und wurde freundlicher. Ungeachtet der späten Stunde entwickelte sich ein Gespräch über Kunst, das sich bedeutend in die Länge zog und damit endigte, daß der reiche van der Werff dem jungen Maler mehre Aufträge zu Gemälden gab.

Mieris erklärte sich zu Allem bereit. Das Bild aber, welches Werff begehrte, sollte das Thor des alten Leydener Rathhauses darstellen, wie der alte Bürgermeister van der Werff sich erschöpft niederwirft, seinen einen entblößten Fuß zeigt und spricht: – Von meinem Stiefel habe ich heute Mittag Suppe gekocht; jetzt habe ich nichts mehr als meinen Leichnam; schlachtet und verzehrt mich; aber nur laßt mir keinen Spanier in das ehrwürdige Leyden!

Van der Werff war so gütig, Franz van Mieris die Broncestatue des Gladiators auf der Stelle mitzugeben.

Hiermit entfernte sich der Maler, durchaus nicht erbaut von seinem Abenteuer. Johann Veen, der ihn, von dem Weinhause kommend, aufgriff, lachte unmäßig, indeß Mieris sich nach seinem Atelier begab.

Bald ward Mieris im Hause van der Werffs ein täglicher Gast. Er kam mit Julia zusammen, überzeugte sich aber bald, daß auch er, gleich dem ehrwürdigen Handelsherrn, nicht im Stande war, die Richtung dieses ascetischen, ernsten Gemüthes zu verändern. Franz van Mieris gab seufzend seinen Traum von Liebe auf, schloß sich aber dafür innig an den höchst gebildeten Alten, welcher ihm väterlich zugethan ward.

Van der Werff empfing das bestellte Gemälde mit Entzücken. An dem Morgen, als van der Werff das fertige Bild im Atelier des Malers sah, schenkte er demselben außer der Bezahlung die Gladiator-Statue. In eben dem Augenblicke, als van der Werff in dem gewölbten Zimmer Mieris’ war, bestürmten diesen zwei seiner erbittertsten Gläubiger.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/85&oldid=- (Version vom 1.8.2018)