Wie bäumt die Mutter sich, wenn man sie selig heist,
Und ihre Treflichkeit auch an der Tochter preist?
Und warum nicht? spricht sie. Latona trägt Gefallen,
Weil ihre Cynthia die Schönste ist für allen,
Weil kaum die Venus selbst den hohen Ruhm erreicht,
Weil all was himmlisch ist nur ihrer Schönheit weicht.
Wie denn das liebe Volck gar leichtlich alles gläubet,
Ob schon der Buhler schertzt und seinen Spott nur treibet,
Ob schon er ieglich Haar von lauterm Golde nimmt,
Und in dem eitlem Ruhm die Wahrheit überstimmt:
Spricht, daß die zarte Haut sey nicht zu unterscheiden
Vom schönsten Helfenbein und von der weissen Kreiden,
Daß ihrer Wangen Roth und Purpur-farbne Pracht
Der Garten höchsten Ruhm, die Rosen, schaamroth macht;
Daß ihrer Augen-Glantz die Sternen übergehet,
Daß Phöbus nicht so klar im heissen Sommer stehet,
Daß der Korallen Blut nicht sey den Lippen gleich,
Und daß der süsse Mund sey Zimmetrinden reich.
Es wird ein ieglich Wort als weiß und klug erhoben,
Daran mit Wahrheit doch nicht sonders ist zu loben.
Die lauter Eitelkeit, der lange Plaudertant
Wird nach der Schmeichel-Kunst Beredsamkeit genannt.
Nun setz ich diesen Fall. Es sey in allen Dingen
So überflüßig gut, als diese Vögel singen.
Die Jungfrau sey so schön, ein Wunder ihrer Zeit,
Ein Ruhm der gantzen Stadt, und aller Augen Neid,
Von Funftzigen bedient. Diß sind nur solche Sachen
Die eine Jungfrau stoltz und übermüthig machen.
Sie wird der Arbeit feind, der Tugend wird sie gramm,
Liebt nichts als Müßiggang, als Spiegel, Pfriem und Kamm,
Geht den Gedancken nach, biß sie sich gantz ergeben,
Und kan nicht ruhig mehr ohn ihren Diener leben.
Wenn alle Welt noch schläft; so lieget sie und wacht,
Läst wohl den Dieb ins Hauß zu stiller Mitternacht,
Joachim Rachel: Teutsche Satyrische Gedichte. Christian Ludewig Kunst, Berlin 1743, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Teutsche_satyrische_Gedichte_Wolfenbuettel.djvu/73&oldid=- (Version vom 23.5.2021)