Ein kranckes Hertz berührt; So stirbet der Verstand,
Der Mensch wird in ein Vieh und wütend Thier verwandt.
Weiß auch von keiner Ruh, er habe denn verrichtet,
Was ihn an Leib und Seel und allem gantz vernichtet.
Noch meint der wüste Mensch, daß diese Raserey,
Bey nah das höchste Gut und lauter Liebe sey.
Und wenn die Narren-Brunst in vollen Flammen stehet,
Wenn die verdammte Lust nach Wunsch und Willen gehet;
So ist sie plötzlich aus, wird lauter Asch und Koth
Und folgt die späte Reu, noch ärger als der Tod.
Beseht den schweren Fall vor langer Zeit beschrieben,
Zum Spiegel aller Welt, die zum Verderben lieben.
Des grossen Davids Sohn, ein Printz sehr schön und zart,
Hochfürstlich von Geblüt, doch nicht der besten Art,
Entbrandt in böser Lust und ließ zu tausend mahlen,
Ein ungezähmtes Aug auf seine Schwester strahlen,
Sein eigen Fleisch und Blut. Wo Thamar gieng und stund
Da schlich ihr Ammon nach. So lang war er gesund,
Als er die Schöne sah. Wann Thamar war entwichen;
So war der Ammon schon als lebendig verblichen,
Ein Schatten seiner selbst, ein welcker Tulipan,
Der sein gekröntes Haupt nicht mehr erheben kan.
Welch Mittel war nun hier? Die Heyrath vorzuwenden
War wider Blut und Recht. Die Jungfrau gar zu schänden.
Ach liebste Schwester mein GOtt wende solchen Sinn
Gar weit von Zionsburg und meinem Hertzen hin.
Diß merckte Jonadab, ein Mann geübter Zungen,
Der in des Printzen Hertz vorlängst sich eingedrungen
Durch süße Schmeichelkunst. Was Ammon wolgefiel,
Auch war es lauter Mord: Er half mit zu dem Spiel.
Wolt Ammon lustig seyn, verkehren oder saufen;
Es muste fort ein Knecht nach Jonadab hinlaufen.
Dem Herren war nicht wol, genoß nicht Brod, nicht Wein,
Es muste Jonadab denn mit zur Tafel seyn.
Joachim Rachel: Teutsche Satyrische Gedichte. Christian Ludewig Kunst, Berlin 1743, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Teutsche_satyrische_Gedichte_Wolfenbuettel.djvu/86&oldid=- (Version vom 1.8.2018)