Glaubt sicher, Jonadab ist kein so tummer Tropf.
Er weiß wol einen Hut zu seinem krancken Kopf.
O mein vertrauter Freund, sprach Ammon, deine Treue
Ist mir vorlängst bekandt. Daß ich zu reden scheue,
Hat einen tiefen Grund. Mein Hertzleid meine Pein,
Will nicht so wol gesagt als nur errathen seyn.
Ach Thamar, schönstes Bild, mein Tod und auch mein Leben!
Wer will mir einen Rath in solchem Unfall geben?
Ach Thamar, wärstu nicht mein eigen Fleisch und Blut;
So war ich schon gesund, und du mein höchstes Gut.
Genug, sprach Jonadab. Ist da der Peltz zerrißen?
Was beßer als nur bald den Apfel angebißen,
Den eure Lust euch zeigt? Wer scheuet in der Noth,
Im Fall er Mittel weiß und Labsal für den Todt?
Die Schwester? Es ist wahr und schwerlich anzugehen.
Jedoch so seltsam nicht. Es ist wohl eh geschehen.
Die Schwester? Auch nur halb. Denn bin ich recht bericht;
So seyd ihr beyde doch von einer Mutter nicht
Und so weit fremd genug. Was wolt ihr länger scheuen?
Der erste Bruder hat die Schwester müßen freyen.
Die Noth war das Gesetz. Auch setz ich endlich nun:
Es sey nicht wol bedacht. Wer will euch etwas thun?
Der Vater? Laß ihn selbst einmahl zurücke sehen,
Wer er vor diesen war: Er wird beschämet stehen.
Ein jeder mach es erst für seiner Thüren rein.
Ist er denn ohne Schuld; so mag er Richter seyn.
Der Pöbel wird vielleicht hievon was hönisch sprechen.
Was mehr? Ein fauler Wind kan keinen Hals zerbrechen.
Ihr seyd ein junger Printz. Kans ja nicht anders seyn;
Ein scharf gewetztes Stahl hält alle Zungen ein.
Was hindert euch noch mehr? Wil Absolon sich streuben.
Für seinem krausen Haar werd ich, und ihr, wol bleiben.
Er ist von zarter Haut, viel näher Weib als Mann,
Der Schleyer steht ihm baß, als Spieß und Harnisch an.
Joachim Rachel: Teutsche Satyrische Gedichte. Christian Ludewig Kunst, Berlin 1743, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Teutsche_satyrische_Gedichte_Wolfenbuettel.djvu/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)