Seite:Ueber die Liebe 025.jpg

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Einheit bezeichnen will, und die Züge der Geliebten, so wie sie sind, verheißen ihm tausend Einheiten des Glücks.

Ehe die Liebe entsteht, ist Schönheit gleichsam das Aushängeschild. Wir werden durch die Lobpreisungen empfänglich gemacht, die man unserer künftigen Geliebten erteilt, und auf die Leidenschaft vorbereitet. Eine allgemeine lebhafte Bewunderung gibt der winzigsten Hoffnung den Ausschlag.

In der Liebe aus Galanterie, und vielleicht auch in den ersten fünf Minuten der Liebe aus Leidenschaft, legt eine Frau bei der Wahl des Geliebten mehr Wert auf die Art und Weise, wie ihn andere Frauen beurteilen, als darauf, wie sie ihn selber beurteilt. So erklärt sich der große Erfolg, den Fürsten und Offiziere haben.[1] Am Hofe Ludwigs des Vierzehnten waren die hübschen Damen auch noch in den alternden König verliebt.

Man muß sich wohl hüten, seine eigene Neigung zu jemandem eher zu verraten, als bis man sicher ist, daß man Teilnahme erregt hat. Man erweckt sonst Widerwillen, der das Aufkommen der Liebe für immer vereitelt und höchstens im Groll der verletzten Eigenliebe Heilung findet.

Einfältigkeit berührt immer unsympathisch, desgleichen, wenn man dem ersten Besten zulächelt. Daher ist in der großen Gesellschaft ein Anstrich von Blasiertheit angebracht. Er macht das vornehme Wesen aus. Man soll nichts einheimsen, was an einem zu niedrigen Aste hängt. In der Liebe achtet unsere Eitelkeit einen zu leichten Sieg gering, und der Mensch neigt zur Geringschätzung alles dessen, was ihm aufgedrängt wird.


  1. [344] Vgl. folgende Stelle in Walter Scotts „Ivanhoe“ [deutsch nach der Übersetzung in Reclams Universalbibliothek Seite 65 f.]: „Wer in der Physiognomie des Prinzen kühne Dreistigkeit, Hochmut und Gleichgültigkeit gegen die Empfindungen anderer las, konnte seinem Gesicht dennoch nicht jene Schönheit absprechen, die regelmäßige Gesichtszüge, ein Ausdruck wohlberechneter Höflichkeit und Freimütigkeit, jedem verleihen. Ein solcher Ausdruck wird oft fälschlich für männlichen Freimut gehalten, wo er doch nur der sorglosen Gleichgültigkeit eines leichtsinnigen Charakters entspringt, der sich sehr wohl der Vorzüge bewußt ist, die Geburt, Reichtum oder ein anderer zufälliger Vorteil ihm verleihen, der aber nichts mit persönlichem Verdienst zu schaffen hat.“
Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_025.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)