Seite:Ueber die Liebe 035.jpg

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Musik – auch ein gutes Ballett – mich immer an das denken macht, was gerade der Gegenstand meiner Träumereien war, und daß ich dabei meine besten Einfälle habe. Damals in Neapel hatte mich die Begeisterung für die Befreiung Griechenlands ergriffen.

Die Gewöhnung an Musik mit ihren Träumereien macht für die Liebe empfänglich. Eine zarte, wehmütige Weise, vorausgesetzt, daß sie nicht zu dramatisch ist und die Phantasie nicht geradezu der Handlung zu folgen zwingt, wirkt durch die Erregung von Liebesgedanken wunderbar auf zärtliche und unglückliche Gemüter ein.

Ein glücklich Liebender ist entzückt von dem berühmten Duett aus Rossinis „Armida“, das die Eifersüchteleien der glücklichen Liebe und die köstlichen Augenblicke nach einer Wiederaussöhnung so trefflich schildert. Die Instrumentalmusik in der Mitte des Duetts, wo Rinaldo fliehen will, die mit staunenswerter Kunst den Kampf der Leidenschaften wiederspiegelt, empfindet ein Liebender wie eine physische Einwirkung auf sein Herz, geradezu wie eine wirkliche Erschütterung. Meine eigenen Gefühle wage ich gar nicht zu bekennen; Nordländer würden mich für verrückt halten.


16. Die Schönheit wird durch die Liebe entthront

Ein Freund von mir lernte im Theater eine Dame kennen, die seine Geliebte an Schönheit übertraf. Wenn ich das in eine mathematische Formel umsetzen darf, so haben wir (angenommen, die ideale Schönheit entspräche der Zahl vier) drei- gegen zwiefaches Glück.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_035.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)