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30. Aus dem Tagebuche Salviatis
Ingenium nobis ipsa puella facit.
(Properz II, 1.)

Aus Verzweiflung über das Unglück, in das mich die Liebe gebracht hat, verwünsche ich mein Dasein. Ich habe allen Mut verloren. Es ist trübes Regenwetter, ein später Frost hat die Natur wieder in den Winter zurückgestoßen, aus dem sie sich endlich dem Lenz entgegengewandt hatte, Schiassetti, ein verabschiedeter Oberst, ein vernünftiger und kaltblütiger Freund, ist da, um mir ein paar Stunden die Zeit zu vertreiben.

„Du müßtest die Liebe lassen.“

„Wie mache ich das? Gib mir meine Leidenschaft für den Krieg wieder.“

„Es ist ein großes Unglück, daß du sie kennen gelernt hast!“

Beinahe stimme ich ihm zu, so niedergeschlagen und mutlos fühle ich mich, so sehr beherrscht mich heute die Melancholie. Wir haben zusammen darüber nachgegrübelt, aus welchem Beweggründe eine ihrer Freundinnen mich bei ihr verleumdet haben könnte. Wir sind auf nichts gekommen, als auf das alte neapolitanische Sprichwort: „Frauen, die Jugend und Liebe hinter sich haben, grollen um nichts.“ – Soviel ist sicher, jenes grausame Weib ist wütend auf mich. Eine ihrer Freundinnen sagt es. Ich könnte mich zwar schrecklich an ihr rächen, aber gegen ihren Haß habe ich nicht die geringste Waffe. Schiassetti ist fort. Ich gehe in den Regen hinaus, ohne zu wissen, was nun wird. Meine Wohnung, mein Zimmer, daß ich

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_085.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)